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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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steht stramm.
    »Zweierlei, Fähnrich«, sagt Oberst Macedo, so nahe vor ihm, daß die Luft seiner Worte dem Südländer wie ein lauer Wind ins Gesicht wehen muß. »Erstens: befragen Sie die Gefangenen, wo João Abade gestorben ist, oder, falls er noch lebt, was aus ihm geworden ist.«
    »Sie sind schon verhört worden, Exzellenz«, sagt Fähnrich Maranhão fügsam. »Von einem Leutnant aus Ihrem Bataillon. Und dann noch von drei Polizisten, die ich wegen frechen Benehmens zurechtweisen mußte. Ich nehme an, Sie sind davon unterrichtet. Keine der Gefangenen weiß etwas über João Abade.«
    »Versuchen wir es noch einmal, vielleicht haben wir diesmal mehr Glück«, sagt Oberst Geraldo Macedo ohne jede Spur vonGereiztheit, in demselben neutralen, unpersönlichen Ton. »Ich möchte, daß Sie selbst sie befragen.«
    Seine dunklen, von Krähenfüßen eingefaßten Äuglein lassen die hellen, überraschten, mißtrauischen Augen des jungen Offiziers nicht los; sie blinzeln nicht, wenden sich weder nach links noch rechts. Oberst Macedo weiß, weil Gehör und Gespür es ihm sagen, daß die acht Soldaten, die rechts von ihm stehen, sich steif gemacht haben und daß die Augen aller Frauen lethargisch auf ihn gerichtet sind.
    »Also werde ich sie befragen«, sagt der Offizier nach einem Augenblick der Unschlüssigkeit.
    Während der Fähnrich das Lumpenmeer durchquert, das sich vor seinen Schritten öffnet und hinter ihnen wieder schließt, und nach João Abade fragt, mit einer Langsamkeit, die seine Bestürzung über den Befehl verrät, von dem er nicht weiß, ob er gegeben wurde, weil der Oberst einen letzten Versuch machen will, das Schicksal des Banditen herauszubekommen, oder in der Absicht, ihn seine Autorität spüren zu lassen, dreht sich Oberst Macedo nicht ein einziges Mal nach den Gaucho-Soldaten um. Ostentativ kehrt er ihnen den Rücken und verfolgt, die Hände im Gürtel, die Mütze nach hinten geschoben, in einer Haltung, die für ihn, aber auch für jeden Viehtreiber im Sertão typisch ist, den Gang des Fähnrichs durch das Lager. Von fern, hinter den Bodenerhebungen, sind noch Detonationen zu hören. Keine Stimme antwortet den Fragen des Fähnrichs; wenn er vor einer Gefangenen stehenbleibt und sie, ihr in die Augen sehend, fragt, schüttelt sie nur den Kopf. Obwohl konzentriert auf das, weswegen er gekommen ist, und aufmerksam auf die Geräusche von dort, wo die acht Soldaten stehen, hat Oberst Macedo Zeit zu denken, wie seltsam es ist, daß in einer Menge von Frauen eine solche Stille herrscht, und wie sonderbar, daß so viele Kinder nicht vor Durst, Hunger oder Angst weinen, und der Gedanke kommt ihm, daß viele von diesen winzigen Skeletten vielleicht schon tot sind.
    »Sie sehen, es ist umsonst«, sagt Fähnrich Maranhão, der vor ihm stehenbleibt. »Keine weiß etwas, wie ich Ihnen gesagt habe.«
    »Schade«, reflektiert Oberst Macedo.« Ich werde hier weggehen, ohne zu wissen, was aus João Abade geworden ist.«Er steht noch an derselben Stelle, immer noch mit dem Rücken zu den Soldaten, und fixiert scharf die hellen Augen, das fahlweiße Gesicht des Fähnrichs, dessen Nervosität sich in seinem Gesichtsausdruck widerspiegelt.
    »Sie sind weit von hier zu Hause, nicht wahr?« sagt Oberst Macedo. »Also wissen Sie sicher nicht, was für die Sertanejos die schlimmste Beleidigung ist.«
    Fähnrich Maranhão ist sehr ernst, seine Brauen sind zusammengezogen, und der Oberst ist sich darüber im klaren, daß er nicht länger warten kann, sonst wird der andere die Waffe ziehen. Mit einer blitzartigen, unvorhersehbaren, knallharten Bewegung schlägt er mit der flachen Hand in dieses weiße Gesicht. Der Schlag haut den Fähnrich um, der nicht aufstehen kann, der liegen bleibt auf allen vieren, aufblickend zum Oberst, der einen Schritt vorgetreten ist, um dicht neben ihm zu stehen, und ihn warnt:
    »Wenn Sie aufstehen, sind Sie tot. Wenn Sie versuchen, Ihren Revolver zu ziehen, erst recht.«
    Er sieht ihm kalt in die Augen und wechselt auch jetzt den Ton nicht. Er sieht die Unschlüssigkeit in dem geröteten Gesicht des Fähnrichs zu seinen Füßen und weiß bereits, daß der Südländer nicht versuchen wird, den Revolver zu ziehen. Er hat übrigens auch seinen nicht gezogen, lediglich die rechte Hand millimeterdicht neben der Revolvertasche an den Gürtel gelegt. Aber in Wirklichkeit ist er ganz auf das konzentriert, was hinter seinem Rücken vorgeht, darauf, zu erraten, was diese acht Soldaten denken und
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