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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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I
    Der Mann war hochgewachsen und so mager, daß er immer wie im Profil wirkte. Seine Haut war dunkel, seine Knochen vorstehend und seine Augen brannten in immerwährendem Feuer. Er ging in Hirtensandalen, und das violette Gewand, das lose an seinem Körper herabfiel, erinnerte an die Tracht der Missionare, die von Zeit zu Zeit die, Dörfer des Sertão aufsuchten, Mengen von Kindern tauften und die in wilder Ehe lebenden Paare trauten. Über sein Alter, seine Herkunft, seine Geschichte war nichts zu erfahren, aber in seinem ruhigen Äußeren, in seiner kargen Lebensweise, seinem unerschütterlichen Ernst lag etwas, das die Leute anzog, noch ehe er Rat erteilte.
    Unvermutet, anfangs allein, immer zu Fuß, staubig vom Staub der Wege, erschien er in Abständen von Wochen, Monaten. Im Licht der Abenddämmerung oder des frühen Morgens zeichnete sich seine hohe Gestalt ab, wenn er mit großen Schritten wie in dringender Eile die einzige Straße des Dorfes entlangging. Entschlossen schritt er zwischen schellenläutenden Ziegen, zwischen Hunden und Kindern durch, die ihm den Weg freigaben und ihn neugierig ansahen, erwiderte nicht den Gruß der Frauen, die ihn schon kannten und sich vor ihm verneigten und liefen, ihm Krüge voll Ziegenmilch und Teller voll Mais und Bohnen zu holen. Aber er aß und trank nicht, ehe er nicht bei der Dorfkirche angekommen war, um einmal mehr, einmal und hundertmal festzustellen, wie schadhaft sie war mit ihrem verblichenen Anstrich, den unvollendeten Türmen, den Löchern in den Wänden, dem aufgesprungenen Boden und den vom Holzwurm zernagten Altären. Sein Gesicht wurde traurig wie das eines Flüchtlings, dem die Dürre Söhne und Vieh getötet und seinen ganzen Besitz genommen hat, und er muß sein Haus und die Gebeine seiner Toten verlassen, um zu fliehen, zu fliehen, er weiß nicht wohin. Manchmal weinte er, und im Weinen verstärkten schreckliche Blitze das schwarze Feuer seiner Augen. Auf der Stelle begann er zu beten. Aber nicht so, wie andere Männer und Frauen beteten: er legte sich mit dem Gesicht auf die Erde oder die Steine oder die lockergewordenen Fliesen, dem Ort gegenüber, wo der Altar stand oder gestanden hatte oder hätte stehen sollen, und da betete er, manchmal still, manchmal laut, eine oder zwei Stunden lang, während die Leute vom Dorf ihn mit Respekt und Bewunderung beobachteten. Er betete das Credo, das Vaterunser und die bekannten Ave-Marias, auch andere Gebete, die noch nie jemand gehört hatte, die sich aber im Lauf der Tage, der Monate, der Jahre den Leuten einprägten. »Wo ist der Pfarrer?« hörten sie ihn fragen. »Warum ist hier kein Hirt für die Herde?« Denn daß die Dörfer keine Priester hatten, peinigte ihn ebenso wie der Verfall der Gotteshäuser.
    Erst wenn er den guten Jesus um Verzeihung gebeten hatte für den Zustand, in dem sich sein Haus befand, nahm er Essen und Trinken an, nur eine Kostprobe dessen, was ihm die Leute bereitwillig selbst in Notjahren anboten. Er willigte ein, unter einem Dach zu schlafen, in einem der Häuser, die die Sertanejos ihm zur Verfügung stellten, aber selten sah man ihn in der Hängematte oder auf der Pritsche oder dem Strohsack liegen, die seine Wirtsleute ihm abtraten. Ohne eine Decke streckte er sich auf den Boden, legte den Kopf mit dem pechschwarzen, brodelnden Haar auf den Arm, und so schlief er ein paar Stunden. So kurz, daß er immer der letzte war, der sich zur Ruhe legte, und wenn die ersten Viehtreiber und Ziegenhirten aufs Feld gingen, sahen sie ihn schon beim Ausbessern der Mauern und Dächer der Kirche.
    Rat erteilte er am Abend, wenn die Männer vom Feld heimgekommen und die Frauen mit der Hausarbeit fertig waren und die Kinder schliefen. Er erteilte ihn auf den baumlosen, steinigen Gevierten, die es im Schnittpunkt der wichtigsten Gassen in allen Dörfern des Sertão gibt und die Plätze hätten genannt werden können, wenn da Bänke gestanden, wenn Hecken und Blumenbeete angelegt worden wären oder wenn die früher vorhandenen und durch Dürre, Seuchen, Nachlässigkeit zerstörten erhalten geblieben wären. Er erteilte ihn zu der Stunde, da der Himmel im Norden Brasiliens, ehe er dunkelt und sich bestirnt, zwischen bauschigen weißen, grauen oder bläulichen Wolken in Flammen steht und dort oben so etwas wie ein weit gestreutes Feuerwerk über der Unermeßlichkeit der Welt abbrennt. Er erteilte ihn zu der Stunde, da dieFeuer angezündet werden, um die Insekten zu vertreiben und das Essen zu bereiten,
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