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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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wurde der Tod mit würdigen Begräbnissen geehrt. Monat um Monat, Jahr um Jahr bevölkerten sich die Nächte von Alagoinhas, Uauá, Jacobina, Itabaiana, Campos, Itabaianinha, Gerú, Riachão, Lagarto, Simão Dias mit Ratschlägen. Alle fanden die Ratschläge gut, und deshalb fingen die Leute an, zuerst im einen, dann im andern Dorf und zuletzt in allen, den Mann, der sie erteilte, obwohl er mit Vornamen Antônio Vicente und mit Nachnamen Mendes Maciel hieß, den Ratgeber zu nennen.
    Ein Holzgitter trennt die Redakteure und Angestellten des Jornal de Notícias – der Name steht in gotischer Schrift über dem Eingang – von den Leuten, die hierher kommen, um eine Anzeige aufzugeben oder eine Information zu bringen. Journalisten sind nur vier oder fünf da. Einer von ihnen sieht ein in die Wand eingelassenes Archiv durch; zwei unterhalten sich angeregt, ohne Jacke, aber in steifen Kragen und langen Krawatten, neben einem Kalender, auf dem das Datum steht – Montag, der 2. Oktober 1890 –, und ein anderer, jung, wenig einnehmend, mit dicken Brillengläsern vor den kurzsichtigen Augen, schreibt mit einem Gänsekiel an einem Pult, gleichgültig gegen alles, was rings um ihn passiert. Am Ende des Raums, hinter einer Glastür, befindet sich die Direktion. Ein Mann mit Augenschirm und falschen Manschetten bedient am Schalter für kostenpflichtige Anzeigen eine Reihe von Kunden. Eben hat ihm eine Frau einen Zettel durchgereicht. Der Kassierer befeuchtet den Zeigefinger und zählt die Wörter – Klistiere Giffoni / / heilen Tripper, Hämorrhoiden, Weißfluß // Rua Primeiro de Março N. 8 – und nennt einen Preis. Die Frau bezahlt, steckt das Wechselgeld ein, und sobald sie geht, tritt der hinter ihr Wartende vor und streckt dem Kassierer ein Papier hin. Er ist dunkel gekleidet, sein schwarzer Frack und seine Melone wirken abgetragen. Das geringelte rötliche Haar fällt ihm über die Ohren. Er ist eher groß als klein, breitschultrig, kräftig, nicht mehr ganz jung. Der Kassierer läßt beim Zählen der Wörter den Finger über das Papier gleiten. Plötzlich runzelt er die Stirn, nimmt den Finger weg und hält sich den Text vor die Augen, als befürchte er, falsch gelesen zu haben.Endlich sieht er den Kunden, der bewegungslos dasteht, verblüfft an. Er blinzelt, macht dem Mann schließlich ein Zeichen zu warten. Das Papier schwenkend, schlurft er durch den Raum, klopft an die Glastür der Direktion, tritt ein. Ein paar Sekunden später erscheint er wieder und winkt den Kunden heran. Dann kehrt er an seine Arbeit zurück.
    Der Dunkelgekleidete geht durch das Jornal de Notícias , seine Absätze knallen, als trüge er Hufeisen. Bei seinem Eintritt in das kleine Büro, das vollgestopft ist mit Papieren, Zeitungen und Propaganda der Progressiven Republikanischen Partei – Ein geeintes Brasilien, Eine starke Nation –, erwartet ihn ein Mann, der ihn mit freundlicher Neugier wie ein seltenes Tier betrachtet. Er sitzt an dem einzigen Schreibtisch, trägt Stiefel, einen grauen Anzug und ist jung, dunkelhäutig, sein Gesicht energisch.
    »Ich bin Epaminondas Gonçalves, der Direktor der Zeitung«, sagt er. »Kommen Sie.«
    Der Dunkelgekleidete macht eine leichte Verbeugung, nimmt aber den Hut nicht ab, sagt auch kein Wort.
    »Sie wollen, daß wir das veröffentlichen?« fragt, das Papier schwenkend, der Direktor.
    Der Dunkelgekleidete nickt. Er trägt einen kurzen Spitzbart, der rötlich ist wie sein Haar, und seine Augen sind durchdringend, sehr hell; sein breiter Mund ist kräftig geschwungen, und die weit offenen Nasenflügel scheinen mehr Luft einzuatmen, als sie brauchen.
    »Vorausgesetzt, daß es nicht mehr als zweitausend Reis kostet«, murmelt er in gebrochenem Portugiesisch. »Das ist mein gesamtes Kapital.«
    Epaminondas Gonçalves weiß nicht, ob er lachen oder sich ärgern soll. Der Mann steht noch immer da, ist ernst, beobachtet ihn. Der Direktor entschließt sich, den Text laut zu lesen. »›Aufforderung an alle Freunde der Gerechtigkeit, sich am 4. Oktober, um sechs Uhr abends, in einem Akt öffentlicher Solidarität mit den Idealisten von Canudos und allen Rebellen der Welt auf dem Platz der Freiheit zu versammeln‹«, liest er langsam. »Darf man erfahren, wer zu dieser Versammlung aufruft?«
    »Bis jetzt ich«, antwortet der Mann unverzüglich. »Wenn das Jornal de Notícias die Schirmherrschaft übernehmen will, wonderful .«
    »Wissen Sie, was die in Canudos gemacht haben?« murmelt Epaminondas Gonçalves
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