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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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und schlägt auf den Schreibtisch. »Sie haben anderer Leute Land besetzt und leben in Promiskuität wie Tiere.«
    »Zwei Dinge, die Bewunderung verdienen«, stimmt der Dunkelgekleidete zu. »Deshalb habe ich beschlossen, mein Geld in diese Anzeige zu stecken.«
    Der Direktor schweigt einen Augenblick. »Darf man erfahren, wer Sie sind, Senhor?«
    Ohne Prahlerei, ohne Anmaßung, mit einem Minimum an Feierlichkeit stellt sich der Mann vor:
    »Einer, der für die Freiheit kämpft, Senhor. Wird die Anzeige veröffentlicht?«
    »Ausgeschlossen«, antwortet Epaminondas Gonçalves, jetzt Herr der Situation. »Die Oberen von Bahia lauern nur auf einen Vorwand, um mir die Zeitung zu schließen. Obwohl sie ein Lippenbekenntnis zur Republik abgelegt haben, sind sie nach wie vor monarchistisch. Wir sind die einzige wirklich republikanische Zeitung in Bahia, ich nehme an, sie haben es bemerkt.«
    »Ich hatte es gehofft«, nuschelt der Dunkelgekleidete mit einer geringschätzigen Handbewegung.
    »Ich rate Ihnen nicht, diese Anzeige dem Diário de Bahia zu bringen«, fügt der Direktor, ihm das Papier zurückreichend, hinzu. »Es gehört dem Baron de Canabrava, dem Herrn von Canudos. Sie würden im Gefängnis landen.«
    Ohne ein Wort des Abschieds dreht sich der Dunkelgekleidete um, steckt die Anzeige in die Tasche, geht. Mit hallendem Schritt, ohne jemanden anzusehen, durchquert er den Geschäftsraum der Zeitung: finstere Gestalt, wogendes rotes Haar, verstohlen beäugt von den Journalisten und den Kunden am Schalter für kostenpflichtige Anzeigen. Kaum ist er fort, steht der Journalist mit den dicken Brillengläsern von seinem Pult auf und geht, ein vergilbtes Blatt in der Hand, in die Direktion, wo Epaminondas Gonçalves verstohlen dem Unbekannten nachsieht.
    »›Auf Anordnung des Gouverneurs von Bahia, S. Exz. LuizViana, ist heute eine Kompanie des Neunten Infanteriebataillons unter dem Befehl von Leutnant Pires Ferreira aus Salvador ausgerückt, mit dem Auftrag, die Banditen zu vertreiben, die die Fazenda Canudos besetzt haben, und ihren Anführer, den Sebastianiten Antônio Conselheiro festzunehmen‹«, liest er zwischen Tür und Angel. »Erste Seite oder Innenseiten?«
    »Setzen Sie es unter Beerdigungen und Messen«, sagt der Direktor. Er deutet auf die Straße, wo der Dunkelgekleidete eben verschwunden ist. »Haben Sie eine Ahnung, wer dieser Kerl ist?«
    »Galileo Gall«, antwortet der kurzsichtige Journalist. »Ein Schotte, der in Bahia herumgeht und die Leute um Erlaubnis bittet, ihre Köpfe befühlen zu dürfen.«
    Er wurde in Pombal geboren und war der Sohn eines Schusters und seiner Geliebten, einer Gelähmten, die dennoch drei Jungen zur Welt gebracht hatte, ehe sie ihn gebar, und die nach ihm noch ein Mädchen gebären sollte, das die Dürre überlebte. Sie nannten ihn Antônio, und wenn es auf dieser Welt logisch zuginge, wäre er nicht am Leben geblieben, denn er kroch noch auf allen vieren, als die Katastrophe hereinbrach, die die ganze Gegend verödete und Saaten, Menschen und Tiere hinwegraffte. Fast ganz Pombal wanderte der Dürre wegen an die Küste aus, aber Tiburcio da Mota, der sich in seinen fünfzig Lebensjahren nie weiter als eine Meile von seinem Dorf entfernt hatte, in dem es keinen Fuß gab, den er nicht eigenhändig beschuht hätte, ließ wissen, er werde sein Haus nicht verlassen. Und er hielt Wort. Mit kaum ein paar Dutzend Personen – selbst die Mission der Lazaristen-Patres hatte sich geleert – blieb er in Pombal.
    Ein Jahr später, als die Flüchtlinge allmählich wieder nach Pombal heimkehrten, von der Nachricht ermutigt, das Tiefland stünde unter Wasser und man könnte wieder säen, waren Tiburcio da Mota, seine Konkubine und die drei größeren Söhne begraben. Sie hatten gegessen, was eßbar war, dann, als es aufgezehrt war, alles Unreife und zuletzt alles, was ihre Zähne beißen konnten. Der Vikar Dom Casimiro, der sie begraben hatte, behauptete, sie seien nicht am Hunger, sondernan der Dummheit gestorben, denn sie hätten Schusterleder gegessen und Wasser aus der Lagune do Boi getrunken, die selbst von den Ziegen gemieden wurde, eine Brutstätte der Moskitos und der Seuchen. Dom Casimiro hatte Antônio und seine kleine Schwester aufgenommen, mit Luft und Gebeten am Leben erhalten, und als sich die Häuser des Dorfs wieder mit Leuten füllten, suchte er ein Heim für sie.
    Das Mädchen kam bei einer Patin unter, die auf einer Fazenda des Barons de Canabrava arbeiten ging.
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