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Im Visier des Verlangens

Im Visier des Verlangens

Titel: Im Visier des Verlangens
Autoren: Courtney Milan
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PROLOG
    London, 1838
    L ady Kathleen Carhart hütete ein Geheimnis.
    In Wahrheit hütete sie mehr als eines, doch das Geheimnis, an das sie beim Frühstück mit ihrem Gemahl dachte, war erst gestern geliefert worden und lag in Seidenpapier gehüllt in ihrer Wäschekommode. Und wüsste er, worum es sich handelte …
    Sie lächelte still in sich hinein.
    Er legte die Zeitung beiseite und richtete den Blick auf sie. Seine feucht glänzenden braunen Augen, dunkler als die Schokolade in ihrer Tasse, kontrastierten stark mit dem sandfarbenen Haar. Er ahnte nicht, was er in ihr auslöste, wenn er sie so ansah. Kate zerknüllte die Serviette zwischen den Fingern; ein unmerkliches Beben durchflog sie. Ein Wunsch keimte in ihr auf, nein, Sehnsucht, Begehren. Und genau darin bestand ihr Problem.
    „Vor ein paar Tagen hatte ich ein Gespräch mit meinem Cousin Gareth“, ergriff er das Wort.
    In London führten wohl unzählige Ehepaare eine ähnlich banale Unterhaltung am Frühstückstisch. Kates Mutter hatte ihr eingeschärft, sich eine praktische Sichtweise in Bezug auf die Ehe anzueignen und zu akzeptieren, dass sie und ihr Gatte artigen und höflichen Umgang miteinander pflegen würden.
    Allerdings hatte Kate keinen durchschnittlichen Londoner Gentleman geheiratet. Edward Carhart pflegte keinen artigen und höflichen Umgang mit anderen – nur mit seiner frisch angetrauten Gemahlin.
    „Und was hatte Gareth zu berichten?“, fragte Kate.
    „Wie du weißt, besitzen wir beträchtliche Anteile an der East India Company.“
    „So wie die meisten wohlhabenden Familien. Eine gute Investition. Das Unternehmen handelt mit Tee, Salpeter und Seide …“ Ihre Stimme verlor sich.
    Wüsste er, was ihr bei dem Wort Seide durch den Sinn ging, würde er nicht so gelassen bleiben. Denn sie hatte ein hauchdünnes Nachthemd in der Bond Street erstanden, ein Gespinst aus indischer Seide, am Ausschnitt von lavendelfarbenen Schleifen gehalten, wohl die einzige Konzession an Sittsamkeit. Und dieses Negligé lag in ihrer Wäschekommode und wartete darauf, von Kate in der kommenden Nacht getragen zu werden.
    „Seide“, bestätigte Ned, den Blick in die Ferne gerichtet, ohne zu bemerken, wie sie sich vorbeugte, „und andere Waren. Opium zum Beispiel.“
    „Opium stünde nicht auf meiner Einkaufsliste.“
    Er lächelte nicht. Sein Blick flog nur unstet hin und her, als sei er verlegen. „Jedenfalls sprachen wir über die jüngsten Entwicklungen in China.“ Ned faltete die Zeitung. „Und wir kamen überein, jemand müsse sich persönlich vor Ort ein Bild über die Situation machen.“
    Er klang ungewöhnlich ernsthaft. Kate furchte die Stirn. „Mit jemand meinst du wohl Mr White, und mit vor Ort das Kontor in …“
    „Mit jemand “, erklärte Ned mit Nachdruck, „meine ich mich , und mit vor Ort meine ich China.“
    Er legte die gefaltete Zeitung auf den Tisch und strich sich über das Kinn. Die Morgensonne wirkte plötzlich zu grell. Die gleißenden Strahlen, die durch das Fenster hinter ihm fielen, verschatteten seine Gesichtszüge. Sie konnte den Ausdruck seiner Augen nicht erkennen. Gewiss scherzte er und würde im nächsten Moment die Mundwinkel belustigt hochziehen.
    Vorsichtig stellte sie ihre Tasse ab und lächelte dünn. „Dann wünsche ich dir eine gute Reise. Wirst du zum Tee zurück sein?“
    „Nein. Die Peerless legt zur Mittagsstunde von den St. Katharine Docks ab, und ich werde an Bord sein.“
    Nicht nur das grelle Licht blendete sie. Sie hob den Blick, als ihr die Wahrheit dämmerte. „Grundgütiger, du meinst es also ernst. Du verlässt mich? Aber ich dachte …“
    Sie hatte gedacht, ihm das seidene Negligé vorführen zu können.
    Er schüttelte den Kopf. „Kate, wir sind seit drei Monaten verheiratet und wissen beide, dass wir uns nur deshalb zu diesem Schritt entschieden haben, weil man uns in einer verfänglichen Situation ertappte und mehr dahinter vermutete, als vorgefallen war. Wir haben geheiratet, um einen Skandal im Keim zu ersticken.“
    Seine unverhohlenen Worte ließen ihre Hoffnungen noch törichter erscheinen.
    „Die Wahrheit ist doch“, fuhr er fort, „dass wir beide eigentlich nicht auf eine Ehe vorbereitet waren.“
    Sie beide?
    Ned schob den Stuhl nach hinten und stand auf. „Ich hatte bisher keine Gelegenheit, mich zu beweisen. Und …“, er zögerte und machte eine fahrige Handbewegung. „Und es ist mein Wunsch.“
    Er legte die Serviette auf den Teller und wandte sich ab. Das Zimmer
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