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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Gesichtern von Hauptmann Souza, Hauptmann Jerónimo, Hauptmann Tejada und Leutnant Soares.
    »Also glaube ich nicht, daß so ein Gaucho-Metzger es sich leisten kann, meine Männer zu mißhandeln oder uns Verräter der Republik zu schimpfen«, fügt er hinzu. »Seine Pflicht ist, uns zu respektieren. Ist es nicht so?«
    Seine Offiziere rühren sich nicht. Er weiß, daß ihre Gefühle zwiespältig sind: Freude über das, was seine Worte vermuten lassen, und eine gewisse Besorgnis.
    »Erwarten Sie mich hier, niemand geht auch nur einen Schritt aus dem Lager«, sagt er, sich zum Gehen wendend. Und daseine Untergebenen alle gleichzeitig protestieren und ihn begleiten wollen, schnauzt er sie an: »Das ist ein Befehl. Ich werde dieses Problem allein lösen.«
    Er weiß nicht, was er tun wird, als er das Lager verläßt, gefolgt, ermutigt, bewundert von den Blicken der dreihundert Männer, die er wie einen warmen Druck in seinem Rücken fühlt, aber etwas wird er tun, denn er hat Wut gespürt. Er ist nicht aufbrausend, war es nicht einmal als junger Mann in dem Alter, in dem alle leicht aufbrausen, und steht eher in dem Ruf, nur bei seltenen Gelegenheiten aus der Haut zu fahren. Der kühle Kopf hat ihm schon viele Male das Leben gerettet. Aber jetzt hat er eine Wut, einen Kitzel im Bauch, so etwas wie das Knistern der Zündschnur vor der Explosion einer Ladung Pulver. Ist er wütend, weil ihn dieser Halsabschneider Räuber-Jäger und seine Bahianer Freiwilligen Verräter der Republik genannt hat? Weil er sich an seinen Polizisten vergriffen hat? Es ist der Tropfen, der den Krug zum Überlaufen bringt. Er geht langsam, die Augen auf das Geröll und die aufgesprungene Erde gerichtet, blind gegen die Schatten der Geier, die über seinem Kopf Kreise ziehen, und unterdessen, schnell und geschickt wie in seinen guten Zeiten, denn die Jahre haben seine Haut schlaffer gemacht und seinen Rücken ein wenig gekrümmt, aber weder seine Reflexe noch die Geschicklichkeit seiner Finger verändert, zieht seine Hand den Revolver aus der Revolvertasche, öffnet ihn, prüft, ob sechs Geschosse in den sechs Öffnungen der Trommel stecken, und schiebt ihn wieder in das Etui zurück. Der Tropfen, der den Krug zum Überlaufen bringt. Denn diese Erfahrung, die die beste seines Lebens, die Krönung seines riskanten Aufstiegs zur Achtbarkeit hätte werden sollen, hat sich eher als eine Reihe von Enttäuschungen und Ärgernissen erwiesen. Statt als Chef eines Bataillons, das in diesem Krieg Bahia repräsentiert, anerkannt und gut behandelt zu werden, ist er in seiner Person wie in der seiner Männer diskriminiert, erniedrigt und beleidigt worden und hat noch nicht einmal eine Gelegenheit erhalten, zu zeigen, was er wert ist. Bis jetzt war seine einzige Heldentat, Geduld an den Tag zu legen. Ein Reinfall, dieser Feldzug, wenigstens für ihn. Er sieht nicht einmal die Soldaten, die seinen Weg kreuzen und ihn grüßen.Als er an der Senke ankommt, in der die Gefangenen sind, erkennt er, rauchend, ihm entgegensehend, Fähnrich Maranhão in einer Gruppe von Soldaten in den Pluderhosen der Gaucho-Regimenter. Das Äußere des Fähnrichs ist keineswegs imponierend, sein Gesicht verrät nichts von dem Messerstecherinstinkt, dem der Fähnrich nachts die Zügel schießen läßt: klein, dünn, hellhäutig, blond, ein sauber gestutzter Schnurrbart und kleine hellblaue, auf den ersten Blick engelhaft unschuldige Augen. Während er auf ihn zugeht, ohne sich zu beeilen, ohne daß eine Muskelanspannung oder ein Schatten in seinem ausgeprägt indianischen Gesicht ahnen ließe, was er vorhat – er weiß es ja selbst noch nicht –, stellt Oberst Geraldo Macedo fest, daß die Gauchos, die um den Fähnrich stehen, acht an der Zahl sind, daß keiner von ihnen ein Gewehr trägt – sie haben sie neben einer Baracke zu zwei Pyramiden zusammengestellt –, daß sie aber Messer im Gürtel haben, wie Maranhäo auch, der außerdem einen Patronengurt und eine Pistole bei sich hat. Der Oberst überquert das Lager, dieses Stück Erde, das dicht besetzt ist mit gespenstischen Frauen. Sie hocken, liegen, sitzen, aneinandergelehnt wie die Gewehre der Soldaten, und das Leben scheint sich ausschließlich in ihre Augen geflüchtet zu haben, die seine Schritte verfolgen. Sie haben Kinder in den Armen, auf dem Schoß, auf den Rücken gebunden oder neben sich auf dem Boden liegen. Als der Oberst nur noch ein paar Meter von ihm entfernt ist, wirft Fähnrich Maranhão die Zigarette weg und
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