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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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aufgewachsen, da habe ich gelernt, wie man Raketen macht. Ich weiß nicht, vielleicht. Und ihr?«
    »Wir werden weit weggehen«, sagte der ehemalige Kaufmann.
    »Vielleicht nach Assaré. Von dort sind wir gekommen, dort haben wir dieses Leben begonnen, wie jetzt auf der Flucht vor der Pest. Einer anderen Pest. Vielleicht kehren wir zurück, um alles dort zu enden, wo es begonnen hat. Was können wir sonst tun?«
    »Ja«, sagte Antônio Fogueteiro.
    Nicht einmal als sie ihm sagen, falls er einen Blick auf den Kopf des Ratgebers werfen wolle, ehe Leutnant Pinto Souza ihn nach Bahia mitnehme, solle er zum Befehlsstand von General Artur Oscar gehen, hört Oberst Geraldo Macedo auf, an das zu denken, was ihn seit dem Ende des Krieges beschäftigt: Wer hat ihn gesehen? Wo ist er? Aber wie alle anderen Brigade-, Regiments- und Bataillonsführer (rangniedrigeren Offizierenwird dieses Privileg nicht zugestanden) geht er sich ansehen, was von diesem Mann übriggeblieben ist, der so viele Menschen getötet hat und den dennoch, allen Aussagen zufolge, nie jemand ein Gewehr oder ein Jagdmesser zur Hand nehmen sah. Er sieht übrigens nicht viel, denn wegen der fortgeschrittenen Verwesung haben sie den Kopf in einen Sack voll Kalk gesteckt: nur ein paar Strähnen graues Haar schauen heraus. Im Unterschied zu anderen Offizieren, die länger in der Baracke von General Oscar verweilen, sich zum Ende des Kriegs gratulieren und Zukunftspläne schmieden, da sie nun in ihre Städte und zu ihren Familien zurückkehren werden, bleibt Oberst Macedo nur einen Augenblick. Eine Weile läßt er die Augen auf diesem Haargewirr ruhen, dann geht er kommentarlos und kehrt zurück zu den rauchenden Trümmer- und Ruinenhaufen.
    Er denkt nicht mehr an den Ratgeber, auch nicht an die jubelnden Offiziere, die er im Befehlsstand zurückgelassen hat, Offiziere übrigens, denen er sich nie gleichgestellt gefühlt hat, seit er mit seinem Bataillon Bahianer Polizisten in die Berge von Canudos gekommen ist, und denen er die Verachtung, die sie ihm gegenüber an den Tag legen, mit gleicher Verachtung heimzahlt. Er kennt seinen Spitznamen, er weiß, wie sie ihn nennen, wenn er den Rücken kehrt: Räuber-Jäger. Ihm ist das egal. Er ist stolz darauf, daß er dreißig Jahre seines Lebens damit verbracht hat, das Hinterland von Bahia immer wieder von Cangaceiro-Banden zu säubern und sich dadurch, daß er im Kampf gegen den Abschaum dieses Landes seine Haut riskierte, seine Streifen verdient und es bis zum Oberst gebracht hat, er, ein bescheidener Mestize aus Mulungo do Morro, einem Dörfchen, das keiner dieser Offiziere auf einer Landkarte zu finden wüßte.
    Aber seinen Männern ist es nicht egal. Die Polizisten von Bahia, die vor vier Monaten aus persönlicher Treue zu ihm bereit waren, gegen den Ratgeber zu kämpfen – der Gouverneur von Bahia habe ihn darum ersucht, hatte er ihnen gesagt, und um das hinterhältige Geschwätz über die angebliche Nachsichtigkeit, Gleichgültigkeit, ja Sympathie und Komplizität der Bahianer im Umgang mit den Jagunços zu entkräften und der Bundesregierung und ganz Brasilien zu beweisen, daß sie genauwie die anderen zu allen Opfern bereit waren, um die Republik zu verteidigen, sei es unerläßlich, daß sich das Polizeikorps bereit erkläre, nach Canudos zu ziehen –, diese Polizisten fühlen sich beleidigt und gekränkt von den hochmütigen Mienen und Reden, die sie erdulden müssen, seit sie in der Kolonne sind. Sie halten sich nicht wie er zurück: sie beantworten Schimpfwörter mit Schimpfwörtern und Spitznamen mit Spitznamen und waren in diesen vier Monaten in unzähligen Zwischenfällen mit Soldaten anderer Regimenter verwickelt. Am meisten erbittert es sie, daß auch das Oberkommando sie zurücksetzt. Bei allen Aktionen ist das Freiwilligenbataillon der Polizei von Bahia abgeschoben, in der Nachhut gehalten worden, als glaube selbst der Generalstab diesen niederträchtigen Reden, die Bahianer seien im Herzen restaurativ, verschämte Ratgeberisten.
    Der Gestank ist so unerträglich, daß er das Taschentuch herausziehen und sich die Nase zuhalten muß. Obwohl viele Brände erloschen sind, ist die Luft voll von Funken, Asche, verkohlten Partikeln, und die Augen brennen dem Oberst, während er angestrengt, forschend die gefallenen Jagunços betrachtet oder sie mit dem Fuß verschiebt, damit er ihre Gesichter sehen kann. Die meisten sind verkohlt oder von den Flammen so entstellt, daß er sie, auch wenn er sie gekannt
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