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Der Krieg am Ende der Welt

Der Krieg am Ende der Welt

Titel: Der Krieg am Ende der Welt
Autoren: Mario Vargas Llosa
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andere kamen dazu. Zwei Worte genügten und er wußte alles.
    »Nicht, weil sie sie töten werden«, sagte João Abade, die Stimme hebend, und lud sein Gewehr und versuchte, auf die zu zielen, die schon den Kreis überschritten hatten und sich entfernten. »Töten werden sie uns alle. Aber sie werden sie demütigen, sie werden sie schänden, wie sie Pajeú geschändet haben. Gerade weil sie unschuldig sind, dürfen wir das nicht zulassen. Wir dürfen nicht zulassen, daß sie ihnen die Kehle durchschneiden! Wir dürfen nicht zulassen, daß sie ihnen die Ehre nehmen!«
    »Da schoß er bereits«, sagte Antônio Fogueteiro. »Da schossen wir alle schon. Pedrão, João Grande, Pater Joaquim, ich.« Der Zwerg merkte, daß seine Stimme, die bis dahin fest geklungen hatte, schwankte. »War es ein Unrecht, Antônio Vilanova? Hat João Abade Unrecht getan, als er uns schießen ließ?«
    »Er hat recht getan«, sagte Antônio Vilanova auf der Stelle. »Er hat sie aus Barmherzigkeit getötet. Sie hätten sie mit dem Jagdmesser umgebracht. Sie hätten ihnen dasselbe angetan, was sie Pajeú angetan haben. Ich hätte auch geschossen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte der Feuerwerker. »Es quält mich. Billigt es der Ratgeber? Solange ich lebe, werde ich mir diese Fragestellen und versuchen herauszufinden, ob ich mich noch im letzten Augenblick durch einen Irrtum um die Seligkeit gebracht habe, nachdem ich zehn Jahre lang mit dem Ratgeber gegangen bin. Manchmal ...«
    Er schwieg, und der Zwerg stellte fest, daß die Sardelinhas nun gleichzeitig weinten; die eine laut und ohne Scham schluchzend, die andere gedämpft, schluckend.
    »Manchmal ...?« sagte Antônio Vilanova.
    »Manchmal denke ich, der Vater, der gute Jesus oder die Gottesmutter haben das Wunder gewirkt und mich zwischen den Toten am Leben erhalten, damit ich für diese Schüsse büße«, sagte Antônio, der Feuerwerker. »Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht ... In Belo Monte schien mir alles klar, der Tag war Tag und die Nacht Nacht. Bis zu diesem Augenblick, bis wir anfingen, auf die Unschuldigen zu schießen. Da wurde alles wieder schwierig.«
    Er seufzte und schwieg, horchte wie der Zwerg und die anderen auf die Sardelinhas, die um die Unschuldigen weinten, denen die Jagunços aus Barmherzigkeit den Tod gegeben hatten.
    Ich schwitze, dachte der Zwerg. Oder blutete er? Er dachte: Ich sterbe. Tropfen rannen ihm über die Stirn, glitten über seine Brauen, seine Lider, schlossen ihm die Augen. Doch obwohl er schwitzte, war diese Kälte da und ließ sein Inneres erstarren. Jurema wischte ihm von Zeit zu Zeit übers Gesicht.
    »Und was geschah danach?« hörte er den kurzsichtigen Journalisten sagen. »Als João Abade und Sie und die anderen ...«
    Er schwieg, und die Sardelinhas, die erstaunt über diese Einmischung zu weinen aufgehört hatten, weinten weiter.
    »Es gab kein Danach«, sagte Antônio, der Feuerwerker. »Die Gottlosen dachten, wir schössen auf sie. Sie schäumten vor Wut, daß wir ihnen diese Beute wegnahmen, die sie schon als ihre betrachteten.« Er schwieg und seine Stimme zitterte. »›Verräter‹, schrien sie. Wir hätten den Waffenstillstand gebrochen, das würden sie uns heimzahlen. Von allen Seiten fielen sie über uns her. Tausende von Gottlosen. Es war ein Glück.«
    »Ein Glück?« sagte Antônio Vilanova.
    Der Zwerg hatte es verstanden. Ein Glück, wieder auf diesen Strom von Uniformen schießen zu können, die mit Gewehrenund Fackeln anrückten, ein Glück, nicht länger Unschuldige töten zu müssen, um sie vor dem Verlust ihrer Ehre zu bewahren. Er verstand es, und mitten im Fieber und in der Kälte sah er, wie sich die erschöpften Jagunços, die aus Barmherzigkeit getötet hatten, die schwieligen und verbrannten Hände rieben, glücklich, wieder einen klaren, eindeutigen, unverwechselbaren Feind vor sich zu haben. Und sah auch die schäumende Wut, die da anrückte und tötete, was noch nicht tot war, und verbrannte, was zu verbrennen blieb.
    »Aber ich bin sicher, daß er nicht einmal in diesem Augenblick geweint hat«, sagte eine der Sardelinhas, und der Zwerg wußte nicht, ob es Honórios oder Antônios Frau war. »Von João Grande, von Pater Joaquim kann ich mir vorstellen, daß sie geweint haben, weil sie das mit den Unschuldigen tun mußten. Aber er? Hat er geweint?«
    »Keiner hat João Abade je weinen sehen«, sagte dieselbe Sardelinha.
    »Du hast ihn nie gemocht«, murmelte Antônio Vilanova enttäuscht, und nun wußte
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