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Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman

Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman

Titel: Die Pforten des Todes - Historischer Kriminalroman
Autoren: Peter Tremayne
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K APITEL 1
    Bevor er aus dem Haus trat, blieb Tóla auf der Schwelle stehen, blickte auf die schwarzen Kuppen des Gebirgszugs im Osten, die sich scharf gegen den weißen Lichtstreifen abhoben, der den anbrechenden Morgen verkündete, holte tief Luft und atmete zufrieden aus. Es war ihm seit Jahrzehnten zum morgendlichen Ritual geworden. Er verharrte noch einen Moment und versuchte aus der Färbung des Himmels abzulesen, was für ein Tag es werden würde. Dann schweifte sein Blick über das dunkle leicht gewellte Land, das sich vor ihm Richtung Süden ausbreitete, und begleitete diese Geste mit einem Kopfnicken wie zur Bestätigung seiner Gedanken. Man konnte zusehen, wie das Licht des neuen Tages das Felsmassiv umfing, das nur wenige Meilen südlich Kontur gewann. Die grauweißen Gemäuer auf dem Rock of Cashel, dem Hauptsitz der Herrscher von Muman, schimmerten bereits deutlich in der Morgendämmerung.
    Tóla trat ins Freie und dehnte sich träge. Er war von untersetzter, muskulöser Statur, ein Mann, dessen Körperbau verriet, dass er ein Sohn der Erde war, ein Mann, der den Acker bestellte und das Vieh versorgte. Die aufgehende Sonne verlieh seinem blauschwarzen Haar einen gewissen Glanz und brachte seine gebräunte Haut und die blassen Augen prächtig zur Geltung. Die Arbeit bei Wind und Wetter hatten die Haut gegerbt und seine Gesichtszüge geprägt, doch tat das seiner Erscheinung keinen Abbruch, er wirkte gutmütig und freundlich. Er gab das Bild eines Mannes ab, der mit seinem Leben und allem, was dazu gehörte, zufrieden war.
    Unweit von ihm raschelte es, und um das Gebäude kam, freudig winselnd und Schwanz wedelnd, ein großer zottiger Jagdhund getrottet. Sein friedfertiges Gebaren stand im Widerspruch zu dem massigen Körperbau des Tieres. Der Mann beugte sich zu ihm, tätschelte seinen gewaltigen Kopf und erwiderte sein erneutes Winseln mit einem gutmütigen Brummen. Dann drehte sich Tóla um und rief gutgelaunt ins Haus hinein: »Es wird ein schöner Tag heute.«
    Eine Frau tauchte im Türrahmen auf, wischte sich die Hände an der Schürze und warf ihrerseits einen raschen Blick auf die Berge im Osten. Sie war wettergebräunt wie Tóla, eine sympathische, wohlproportionierte Frau, der man ebenfalls ansah, dass sie zuzupacken verstand.
    »Richtig schön, um die Ernte einzubringen?«
    »Richtig schön, Cainnear. Bestimmt werden wir mit dem kleinen Feld heute fertig, und dann haben wir alles Korn unter Dach und Fach.«
    »Sieh aber erst nach der Färse, ob sie endlich gekalbt hat«, meinte die Frau.
    »Stimmt. Sie lässt sich ganz schön Zeit. Die anderen Kühe sind schon längst auf der Weide. Ich gehe gleich mal nach ihr schauen. Gestern Abend war sie noch unten am Fluss. Vielleicht ist das Kälbchen inzwischen da.« Er machte eine Pause, ehe er weitersprach. »Der Herr Sohn hat sich wohl noch nicht gerührt, oder? Treib ihn aus den Federn. Wir haben viel zu tun heute.«
    »Mach ich; und dann komm ich raus aufs kleine Feld.«
    Der Bauer nickte und ging zum Schuppen hinter dem bothán , dem aus Stein gebauten kleinen Haus, in dem sie wohnten, um Sense und Rechen zu holen. Geübt schulterte er beides und stapfte über die Felder hinüber zu derdunklen Baumreihe. Der Hund trottete ihm hinterher. Der Bach, der dort floss, begrenzte sein Land im Süden. Er strömte westwärts und mündete in den großen Suir, der die Westgrenze von Tólas Landbesitz bildete.
    Als Herr und Hund das kleine Weizenfeld erreichten, das noch gemäht werden musste, war es bereits taghell. Nicht mehr lange, und am Nachthimmel würde der Gealach na gcoinnlíní stehen, der Mond der Stoppelfelder. Er hieß so, weil dann die Kornfelder gemäht und abgeerntet sein mussten. Tóla verharrte einen Moment, schaute über das Feld und schürzte die Lippen wie zu einem stummen Einverständnis. Nur noch heute, dann war alles in der Scheuer. Er konnte Gott danken; es war eine gute Ernte gewesen und überhaupt ein gutes Jahr, denn er hatte nicht eine Kuh verloren, kein Schwein, auch kein Huhn. Keines seiner Tiere war einer Seuche oder einem Raubtier zum Opfer gefallen. Der Gedanke an seinen Viehbestand erinnerte ihn an das Jungtier, das zum ersten Mal trächtig war. Er konnte nur hoffen, dass die Färse in der Nacht endlich gekalbt hatte, andernfalls würde sie schwer überleben. Er sah zur Baumreihe hinüber, aber noch lag sie zu sehr im Schatten, um irgendetwas ausmachen zu können. Tóla legte Sense und Rechen an dem Eckstein des Feldes ab und
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