Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hand und Ring

Titel: Hand und Ring
Autoren: Anne Kathrine Green
Vom Netzwerk:
Erstes Kapitel.
    Die Stadtuhr von Sibley hatte eben zwölf geschlagen, und die Gerichtssitzung war zu Ende. Richter Evans, der den Vorsitz geführt, stand noch mit mehreren angesehenen Advokaten des Bezirks vor dem Tor des Gerichtsgebäudes. Das Gespräch der Herren drehte sich um den Kriminalfall, der gerade verhandelt worden war und um die verschiedenen Verbrecherklassen im allgemeinen.
    Ferris, der Bezirksanwalt, hatte die Behauptung aufgestellt, daß da, wo Irreligiosität und strafwürdige Neigungen zur Herrschaft unter den höheren Ständen gelangen, die Entdeckung von Verbrechen auf fast unübersteigliche Hindernisse stoße. Um die Gerichte irre zu führen und eine begangene Missetat zu verbergen, fuhr er fort, vermag der Gebildete weit eher alle Künste der List und Verstellung zu Hilfe zu rufen, als der Verbrecher aus niederen Volksschichten, dem der Hang zum Bösen häufig sozusagen auf der Stirne geschrieben steht.
    Wie jenem Vagabunden da drüben, fiel der Advokat Lord ein, indem er auf einen plumpen, untersetzten Menschen von verdächtigem Aussehen deutete, welcher mit einem Packauf dem Rücken gerade aus dem Heckenweg herauskam, der dem Gerichtsgebäude schief gegenüber in die Hauptstraße mündete.

    Seinesgleichen sieht man am häufigsten auf der Anklagebank, sagte darauf Rechtsanwalt Orkutt, der in Kriminalsachen einen nicht unbedeutenden Ruf genoß. SehenSie nur, wie er verstohlen um sich blickt. Er muß wohl bemerkt haben, daß wir ihn beobachten, denn er beschleunigt seinen Schritt und jetzt fängt er gar zu laufen an.
    Der Kerl wird wohl irgendeinen Streich ausgeführt haben, sagte Evans.
    Das dürfte ihm schlecht bekommen, äußerte der Bezirksanwalt. Es entwischt so leicht keiner. Die Spitzbuben führen hier zu Lande wahrhaftig kein Schlaraffenleben; Räuber und Diebe kommen selten mit ihrer Beute davon, und daß ein Mörder seiner Strafe entgeht, ist geradezu ein unerhörtes Vorkommnis.
    Dann muß ja die Geheimpolizei in hiesiger Gegend ihr Geschäft ganz vortrefflich verstehen, ließ sich hier ein junger Mann vernehmen, welcher bisher geschwiegen hatte.
    Das nicht gerade. Aber die Schurken fangen ihre Sache gar zu ungeschickt an; sie verstehen es nicht, die Spuren der Untat zu verwischen.
    Wer pfiffig ist, hinterläßt überhaupt keine Spur, mischte sich jetzt eine scharfe Stimme in die Unterhaltung. Ein großer, rothaariger, etwas buckliger Mann trat aus dem Torweg, wo er, von den übrigen unbemerkt, sich bisher aufgehalten hatte. Niemand schien ihn zu kennen, er aber fuhr unbeirrt im gleichen Tone fort: Nur deshalb ist es so leicht, der Verbrecher habhaft zu werden, weil sie Spuren ihrer Tat hinterlassen und dann zu auffälligen Mitteln greifen, um sie zu verbergen. Wer unentdeckt bleiben will, der wählt zu der Tat am besten eine Waffe, die er am Orte selbst vorfindet, und womöglich eine belebte Verkehrsstraße, wo naturgemäß andere Menschen durch ihr Kommen und Gehen die Spuren verwischen, die etwa zurückgeblieben sind. So wird der Argwohn entkräftet, weil sich der Verdacht nach so verschiedenen Richtungen lenkt, daß die Verfolgung keinen Anhalt findet und schließlich ausgegeben werden muß. Sehen Sie zum Beispiel jenes Eckhaus dadrüben – der Fremde zeigte auf ein schief gegenüberliegendes Gebäude – während wir hier stehen, sind Menschen verschiedenen Schlages durch den Seiteneingang nach der Küchentür gegangen und wieder zurück, unter andern jener verdächtig aussehende Hausierer. Wer dort wohnt, weiß ich nicht, aber nehmen wir einmal an, es wäre eine alleinstehende Frau. Käme nun in etwa einer Stunde jemand in ihren Garten und fände sie tot hinter dem Holzhaufen liegen und ihre eigene Axt daneben, – auf wen würde dann der Verdacht fallen? – Natürlich auf den fremden Hausierer, dem man, nach seinem Aussehen zu urteilen, jede Untat zutrauen kann. Aber ein Verdacht ist kein Beweis. Wenn er die Tat leugnet, würde kein Gerichtshof ihn als Mörder verurteilen, kein Richter den Stab über ihn brechen können.
    Der bucklige Fremde ging hierauf gemächlich seines Weges, der Bezirksanwalt aber schien die einmal angeregte Frage noch weiter erörtern zu wollen.
    Herr Byrd, wandte er sich an den vorhin erwähnten jungen Mann, was sagen denn Sie als Sachverständiger dazu? Meinen Sie nicht, daß es der Geheimpolizei gelingen würde, den Hausierer zu überführen?
    Ich weiß nicht, versetzte der Angeredete zögernd, ich bin noch nicht gewiegt und erfahren genug in solchen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher