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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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Seele blicken zu können. Warum bin ich heute nicht hier geblieben?, stand da in dicken Lettern geschrieben.
    Kräftige Hände hatten den Attentäter festgehalten, und als David sicher war, dass er für Gandhi nichts mehr tun konnte, überließ er ihn seinen Nichten, Jüngern und Verehrern. Er brauchte einige Sekunden, um sich zu sammeln. Früher wäre er angesichts einer ähnlichen Tragödie vielleicht zusammengebrochen. Früher…
    »Wie heißt du?«, fragte er barsch den schlanken jungen Mann, dessen schwarze Augen ihn gefährlich anfunkelten.
    Der Mörder antwortete nicht.
    »Hat man dir die Zunge…?«
    »Godse!« Die Antwort kam von unerwarteter Seite, von irgendwoher hinter David. Verwundert drehte er sich um und erblickte das Mädchen aus Faridabad.
    »Abhitha?«, fragte David ungläubig. »Kennst du diesen Schurken…? Ach, du kannst mich ja nicht verstehen.«
    Besagter Godse machte Anstalten, sich auf das Mädchen zu stürzen, aber dem Klammergriff seiner Bewacher konnte er sich nicht entwinden. Dafür schleuderte er giftige Blicke in Abhithas Richtung.
    Plötzlich sagte das Mädchen mit versteinerter Miene und in durchaus verständlichem Englisch: »Er war in dem Haus, Sahib.«
    David riss die Augen auf. »Aber ich dachte, du sprichst nur Hindi.«
    »Ich habe zwei Jahre als Stubenmädchen bei einem englischen…«
    »Später, Abhitha«, unterbrach sie David. »Zuerst müssen wir uns um den Revolverschützen hier kümmern. Hast du vielleicht diesen Schurken zusammen mit Raja Mehta in dem Schuppen gesehen, in dem wir dich gefunden haben?«
    »In dem Aussätzigenhaus, ja. Nathuram hat sich dort oft mit Raja getroffen.«
    »Nathuram Godse – ist das sein vollständiger Name?«
    Abhitha nickte. Die feindseligen Blicke des Mörders erwiderte sie mit Blitzen aus ihren feurigen Augen.
    »Du hast mich vorhin belogen, nicht wahr? Woher kennst du ihn?«
    »Ich hatte Angst, Ihr würdet mich aus dem Haus vertreiben, Sahib. Das Viertel ist schon lange mein Zuhause.
    Nathuram konnte ich allerdings noch nie leiden. Er hat sich vor mir aufgeplustert wie ein Pfau. Dann hat er mir Geld geboten – er wollte mich in die Geheimnisse des Kamasutra einführen.«
    David schluckte. Abhitha war ja noch ein Kind. »Du hast doch nicht…?«
    »Ich habe ihn angespuckt.«
    »Braves Mädchen.« David nickte. Irgendwie erleichterte ihn Abhithas Antwort. Daraufhin wandte er sich den Bewachern des liebeshungrigen Todesschützen zu und sagte streng: »Bringt ihn ins Haus.«
    Die Worte des großen Engländers, der Gandhi vor der Bombe gerettet und ihm damit zehn weitere Lebenstage geschenkt hatte, stießen auf keine Widerrede: Man führte den Mörder ab.
     
     
    Zu den Hintergründen der Tat waren aus Nathuram Godse nicht viel mehr als fanatische Parolen herauszubekommen. Gandhi habe die Sache der Hindus verraten, was immer diese Sache auch sein mochte. Seinetwegen sei Indien zerrissen worden – ein Witz, wenn man bedachte, wie sehr der Mahatma versucht hatte die Teilung zu verhindern. Und er sei ein Freund der Moslems – wenigstens das stimmte, war Gandhi doch niemandes Feind gewesen.
    Als David – in Gegenwart von zwei stämmigen Polizisten niederen Dienstgrades – auf Raja Mehta zu sprechen kam, wurde Nathuram mit einem Mal sehr schweigsam. An den beiden Beamten konnte es nicht liegen, sie verstanden, wie David schnell festgestellt hatte, kein Wort Englisch. Er versuchte es zunächst mit mahnenden Worten, dann mit Appellen an das Gewissen des Attentäters und schließlich mit Drohungen: alles vergebens. Nathuram gewann seine Sprache nicht zurück.
    »Es heißt, der Aussatz soll von Rajas Haus Besitz ergriffen haben«, erklärte David am Ende.
    Nathurams Augen verrieten Furcht, aber seine Lippen blieben verschlossen.
    »Du weißt doch sicher, dass diese Krankheit ansteckend ist!«
    Die dunkel umschatteten Augen wurden größer.
    »Bei manchen wird die Haut weiß wie Schnee. In anderen Fällen wird den Infizierten die Nase zerfressen und dann verfaulen ihnen die Glieder am lebendigen Leib. Es wäre doch bedauerlich, wenn gerade dir so etwas zustoßen sollte. Du bist noch so jung. Im Gegensatz zu mir weißhaarigem Zausel hast du noch ein ganzes Leben vor dir.«
    Nathuram begann zu zittern.
    »Ich bin… « David zögerte, dachte nach. »Sagen wir, so etwas wie ein Guru. Kein richtiger natürlich, aber ich kann erkennen, was in dir steckt. Möchtest du gerne erfahren, ob deine Haut weiß wie Schnee werden wird?«
    Über das Gesicht des
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