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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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sich so jeder dritte Satz aus deinem Mund an. Du hast dich ziemlich verändert, seit du nicht mehr mein Leibwächter bist, Balu.«
    Batuswami Bhavabhuti grinste schief. »Das liegt an der Erfahrung, die man im Laufe des Lebens gewinnt. Nur noch ein paar Jahre und ich werde achtzig.«
    »Was sind schon achtzig Jahre im Verhältnis zu den vielen Leben, die der stolze Tiger von Meghalaya bereits hinter sich gebracht hat?«
    Der drahtige Hindu mit dem Holzbein gab sich beleidigt. »Willst du etwa meinen Glauben an die Reinkarnation infrage stellen? Ich hätte besser bei Bapu bleiben und ihn beschützen sollen.«
    »Ehrlich gesagt, wäre mir das sogar lieber gewesen. Immerhin haben wir es hier vielleicht mit einem brutalen Handlanger Belials zu tun und du bist nun wirklich nicht mehr der Jüngste, mein Guter. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustieße.«
    »Ich werde mindestens einhundertdreiunddreißig Jahre, bin demnach also jetzt gerade im besten Alter und kann ganz gut auf mich aufpassen.«
    »Soweit ich mich erinnere, war es der Mahatma, der sich diese Lebensspanne vorgenommen hatte.«
    »Wenn du Bapu nicht verraten hättest, dass ich drei Jahre jünger bin als er, wäre er weiter bei seinen hundertfünfundzwanzig Jahren geblieben. Aber so…«
    David seufzte. Balu Dreibein war auf seine alten Tage ein wenig schrullig geworden. »Lass es gut sein, mein Freund. Du kannst mir ja helfen, nur musst du mir versprechen, vorsichtig zu sein.«
    Balu grinste von einem Ohr zum anderen. »Das war ich doch schon immer, Sahib. Und nun lass uns endlich diesen Schakal aus seinem Versteck locken und ihm das Fell über die Ohren ziehen. Für Fanatiker habe ich noch nie viel übrig gehabt, egal ob sie vorgeben, Allah, Wischnu oder meinetwegen sogar den Teufel anzubeten.«
    David sah seinen Freund verwundert an. Für einen Vertrauten Gandhis, jenes Propheten der Gewaltlosigkeit, gebärdete sich der graue Tiger von Meghalaya erstaunlich angriffslustig. Vielleicht stimmte ja, dass die zerstrittenen Parteien des Landes das Herz der Großen Seele gebrochen hatten. Balu schien jedenfalls fest entschlossen, es jedem heimzuzahlen, der an dieser Tragödie eine Mitschuld trug.
    Missmutig wandte David seinen Blick von dem energischen Alten ab und widmete sich der näheren Umgebung. Die Straße war kaum mehr als ein in der Sonne glühender Trampelpfad. Auf der anderen Seite, fünf oder sechs Häuser weiter, saßen im Schatten eines Balkons zwei vielleicht zehn- oder elfjährige Jungen und äugten neugierig herüber.
    »Also gut«, brummte David. »Du gehst am besten um das Haus herum und zeigst dort Flagge. Dann kann sich Mehta nicht einfach nach hintenraus verdrücken. Ich zähle langsam bis dreißig und werde dann hier vorne in Aktion treten. Alles klar?«
    Batuswami Bhavabhuti nickte, fasste den Gehstock fester, als hätte er es mit einer tödlichen Waffe zu tun, und machte sich von dannen.
    Als David – mit Rücksicht auf Balus Holzbein – bis vierzig gezählt hatte, ging er festen Schrittes auf das baufällige Haus zu. Mit der Faust klopfte er drei-, viermal gegen die verwitterte Holztür, die gefährlich schief in den Angeln hing und auf die rüde Behandlung hin ächzend protestierte. »Ist da jemand?«
    Die beiden Jungen auf der anderen Straßenseite reckten die Hälse. Im Haus blieb es still.
    David klopfte erneut, wieder ohne Erfolg. Er überlegte, ob er Raja Mehtas Namen rufen sollte, aber ein vermeintlicher Freiheitskämpfer mochte sich dadurch in seiner Anonymität verletzt fühlen. Und wenn er wirklich mit dem Kreis der Dämmerung in Verbindung stand…
    Ganz auf seine Sekundenprophetie konzentriert, klopfte David weiter. Niemand sollte ihn überraschend angreifen können. Im Augenblick allerdings bestand nur die Gefahr, dass das Gebäude über ihm zusammenbrach. Einmal mehr rief David, in Ermangelung besserer Alternativen, in der Sprache der ehemaligen Kolonialherren: »Hallo, ist denn niemand zu Hause?«
    Plötzlich drang ein dumpfes Krachen durch die windschiefe Tür, gefolgt von lauten Stimmen. David erkannte mit Schrecken, aus welcher Richtung das Getöse kam. Nicht er wurde angegriffen, sondern sein Freund! Er unterdrückte ein Fluchen und rannte zur Südseite des Gebäudes.
    Der hagere Inder steckte in einer dicken Staubwolke und war in ein lebhaftes Handgemenge verwickelt. Balus Gegner zappelte, biss und fluchte, um sich aus den Fängen des Tigers von Meghalaya zu befreien. Da ein baldiges Ende des
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