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Das vertauschte Gesicht

Das vertauschte Gesicht

Titel: Das vertauschte Gesicht
Autoren: Ake Edwardson
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1
    September
    Es hatte angefangen zu regnen. Simon Morelius stellte die Frequenz neu ein. Seit fünf Minuten kein Funkruf. Es war bald zehn, und alles war ruhig. Greger Bartram hielt bei Rot vor der Ampel. Zwei Frauen überquerten die Straße, die eine drehte sich zum Streifenwagen um und lächelte, und Greger Bartram hob grüßend die Hand.
    »Siebenundzwanzig und hübsch«, sagte er. »Und sie denkt dasselbe von mir.«
    »Mich hat sie angelächelt, nicht dich«, sagte Morelius.
    »Sie hat mir direkt in die Augen gesehen«, beharrte Bartram. »Mich hat sie gemeint.«
    Die Ampel wurde grün, und Bartram bog in den Korsvägen ein.
    »Und dann hat sie festgestellt, dass dahinter niemand zu Hause ist«, sagte Morelius.
    »Haha.«
    Aus dem Sender ertönte eine Frauenstimme: »Neun eins zwanzig, neun eins zwanzig, kommen.« Von irgendwoher das Gemurmel einer Antwort und wieder die Frauenstimme: »Bei Liseberg liegt jemand vorm Focus, wahrscheinlich besoffen. Dort hält sich eine Gruppe Jugendlicher auf. Bitte übernehmen.«
    Sie hörten jemanden aus einem anderen Streifenwagen auf den Anruf antworten: »Wir haben gehört. Wir sind auf der Prinsgatan und fahren runter zum Focus.«
    Morelius griff nach dem Mikrofon. »Hier elf zehn. Wir sind näher dran, wir befinden uns auf dem Korsvägen und fahren hin.«
    »Okay, elf zehn.«
    Der Streifenwagen vom Bezirksrevier Lorensberg verließ den Kreisverkehr und fuhr vor das Einkaufszentrum. Eine kleine Gruppe Menschen hockte auf dem Parkplatz. Als das Auto hielt, lief jemand von ihnen auf die Autotür zu, die Bartram gerade geöffnet hatte.
    »Ich hab angerufen«, sagte ein Mädchen, etwa fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, und schüttelte das Handy, als ob es anfangen sollte zu klingeln, um zu bestätigen, was sie eben gesagt hatte. Ihre Haare glänzten, und ihre Augen waren groß und erschrocken. Sie roch nach Alkohol und Tabak. Ihre Armbewegungen waren übertrieben weit ausholend. »Da liegt sie, Maria, aber ihr geht's schon wieder besser.«
    »Ich hab einen Krankenwagen gerufen«, sagte Bartram.
    Morelius folgte dem Mädchen die wenigen Schritte zu der Gruppe Jugendlicher. Sie standen im Halbkreis um ein Mädchen herum, das sich gerade langsam aufrichtete. Als Morelius näher kam, schwankte sie, er streckte einen Arm aus und fing sie auf. Sie wog fast nichts und sah aus wie die Zwillingsschwester von dem Mädchen, das mit ihnen gesprochen hatte, aber ihr Blick war glasig. Bei ihr ist wahrhaftig niemand zu Hause, dachte Morelius.
    Sie roch nach Alkohol und Erbrochenem. Morelius spürte die Schmiere unter den Schuhsohlen. Er musste aufpassen, dass er nicht ausrutschte. Ein paar Sekunden später sah das Mädchen ihn mit einem plötzlich scharfen Blick an.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie.
    »Was hast du genommen?«, fragte Morelius.
    »Ni... nichts«, antwortete sie. »Nur ein paar Bier getrunken.«
    »Ein paar Bier, was?« Morelius musterte die Gruppe von fünf oder sechs Jugendlichen. »Was hat sie genommen? Es ist wichtig. Wenn ihr was wisst, dann sagt es jetzt, und zwar ein bisschen dalli.« Er hob seine Stimme, und die Gruppe wirkte eingeschüchtert.
    »Wie sie gesagt hat«, antwortete ein Junge mit Strickmütze und Trainingsoverall, »nur ein paar Bier... und etwas Schnaps.«
    »Schnaps? Was für Schnaps? Hat einer von euch die Flasche?« Die Jugendlichen wechselten Blicke.
    »DIE FLASCHE!«, wiederholte Morelius.
    Der Junge mit der Strickmütze steckte seine Hand unter den zu weiten Overall und zog eine Flasche hervor. Bartram nahm sie und hielt sie ins Licht der Neonschilder.
    »Da ist kein Etikett drauf«, sagte er.
    »Nei... ein.«
    »Was ist das?«, fragte Bartram. In dem Augenblick ertönte von der anderen Seite von Gothiaskrapan die Sirene eines Krankenwagens. »Was ist das für ein Fusel? Ist das Selbstgebrannter?«
    »Ja... ich glaub, ja«, sagte der Junge. »Ein Kumpel hat ihn mir verkauft.« Der Junge sah aus, als würde er gleich anfangen zu weinen. »Er hat gesagt, der ist in Ordnung.«
    »Nichts ist da in Ordnung«, sagte Morelius. Er spürte, wie das Mädchen in seinem Arm schwer wurde. Sie war wieder auf dem Weg in die Bewusstlosigkeit. »Wo bleibt denn der verdammte Krankenwagen?«, sagte er. In dem Augenblick bremste der Wagen zwei Meter von ihnen entfernt, und rasselnd wurde eine Tragbahre herausgezogen.
    Sie saßen im Wartezimmer der Notaufnahme. Das Mädchen war ins Untersuchungszimmer geschoben worden. Nach zwanzig Minuten kam ein Arzt heraus.
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