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Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer

Titel: Der Kreis der Dämmerung 03 - Der weiße Wanderer
Autoren: Ralf Isau
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Attentäters liefen Schweißtropfen. Seinen Blick interpretierte David als ein entschiedenes Ja.
    »Sieh her«, sagte er und legte seine Hände auf diejenigen Nathurams. Dann hob er die Arme und trat rasch zwei Schritte zurück.
    Der Mörder konnte sich nur schwer von Davids bohrendem Blick losreißen, aber als er schließlich auf seine gefesselten Handgelenke hinabsah, packte ihn das nackte Grauen. Die Unterarme waren weiß wie das Salz, das sein Opfer einst am Strand von Jalalpur aufgelesen hatte.
    »Aussatz!«, hauchte Nathuram entsetzt. »Ich werde sterben.«
    Ja, das wirst du. »Für die heutige Tat musst du auf jeden Fall büßen, aber ich kann vielleicht dafür Sorge tragen, dass dein Körper in einem Stück aus diesem Leben scheiden wird.«
    Nathuram blickte David flehend an, brachte aber die erlösenden Worte nicht über die Lippen.
    »Ich will dir helfen«, bot David dem Verängstigten freundlich an. Er deutete auf Nathurams weiße Arme und sagte: »Verrate mir, wo ich Raja Mehta finde, und ich werde diesen Aussatz von dir nehmen.«
    Nathuram Godse zögerte.
    »Ich glaube, er breitet sich aus«, bemerkte David.
    Der Mörder stierte auf seine Arme. Jetzt waren sie bereits bis unter die Hemdsärmel weiß geworden. »Er ist in Amritsar«, rief er voller Entsetzen. »Oder in der Nähe. Mehr kann ich dir nicht sagen.«
    »Doch, das kannst du. Wer hat dich beauftragt, Bapu zu töten?«
    Wieder blieb Nathuram stumm, aber allein das Heben von Davids Händen ließ seinen Widerstand zusammenbrechen. »Halt!«, wimmerte er. »Bitte nicht! Ich möchte nicht zerfressen werden.«
    »Dann sprich endlich die Wahrheit.«
    »Er… Er hat mich dazu angestiftet. Ich bin nur die Hand, die den Abzug des Revolvers betätigt hat, aber der Kopf…«
    »Ja? Ich höre. Wer ist der eigentliche Befehlsgeber?«
    »Ich habe keine Ahnung. Und wenn mein ganzer Körper hier und jetzt verfault, ich kann es Ihnen nicht verraten, weil ich es nicht weiß!«
    Der völlig verängstigte Mann sagte die Wahrheit. David nickte knapp, strich mit großer Geste über die zitternden Arme des Todesschützen und murmelte: »Sei rein.« Und nimm die Sühne auf dich für das, was du Bapuji angetan hast.
    Dann trat er, ohne Nathuram Godse noch eines einzigen Blickes zu würdigen, ins Freie und überließ den Mörder seiner Erleichterung über die angeblich wiederhergestellte Gesundheit.
     
     
    David schätzte sie auf eine Million. Er hatte noch nie so viele Menschen auf einmal gesehen. Der kleine Vater Indiens war gestorben und Indien kam nach Neu-Delhi, um ihn zu betrauern. Wie in Ländern mit heißem Klima üblich, fanden die Bestattungsfeierlichkeiten bereits einen Tag nach dem Dahinscheiden statt.
    Der Leichenzug folgte der Yamuna, jenem Fluss, der seiner Vereinigung mit Ganga Ma, der »Mutter Ganges«, entgegenstrebte. Gemessen wälzte sie sich dahin, als trüge auch sie schwer an dem großen Verlust. Ihre Ufer waren grün, jetzt im Winter ein beinahe schon fröhlich wirkender Trauerschmuck.
    Bevor Gandhis sterbliche Überreste der Mutter Ganges übergeben werden konnten, mussten sie eingeäschert werden. Dieser Brauch war David nicht ganz unbekannt. Unwillkürlich musste er an seinen Freund Yoshi denken, als er hinter dem knarrenden und knarzenden Wagen herschritt, der den Leichnam des Mahatma nach Raj Ghat trug. Ganz vorn gingen Gandhis engste Angehörige, allen voran sein jüngster Sohn Devadas. Dann folgten Pandit Nehru, Lord Louis und dessen Gemahlin Edwina sowie einige andere hohe Würdenträger, David und Batuswami Bhavabhuti befanden sich im hinteren Drittel, durften aber immerhin die Einfriedung betreten, die den Verbrennungsplatz umgab.
    »Wie lange wird die Einäscherung dauern?«, raunte David in Balus Ohr.
    Der hob verwundert und ein wenig unwillig den Blick.
    »Vielleicht zwei Stunden, möglicherweise auch drei. Das hängt von Ram ab.«
    »Von Gott? Ich denke, wohl eher vom Wind.«
    »Das auch.« Balu blickte wieder nach vorn, nicht gewillt, sich noch einmal in seiner Trauer stören zu lassen.
    David konnte ihn gut verstehen. Auch er verlor mit dem kleinen Vater einen geschätzten und geachteten Menschen. In den wenigen gemeinsamen Tagen mit Gandhi war zwischen ihnen eine besondere Art des Vertrauens gewachsen, eine Harmonie entstanden, wie er sie zuletzt während des Zusammenseins mit Lorenzo Di Marco gespürt hatte, seinem römischen »Bruder«, der seit dem Krieg verschollen war.
    Einmal mehr drehte sich David um, er wollte alles, was
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