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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Verfügbarkeit und Abhängigkeit von Ressourcen und der Auswirkungen von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ein wichtiger Bestimmungsfaktor fürden relativen machtpolitischen Einfluss eines Staates oder einer Staatengruppe.
    Aus dieser Perspektive zeigt sich, dass eine neue multipolare Ordnung entstanden ist, die nicht mehr nur auf militärischem, sondern vor allem auf wirtschaftlichem und technologischem Gebiet ihre Bestimmungsfaktoren findet. Diversität, fehlende Führungsstrukturen und zunehmende Instabilität sind die wesentlichen Charakteristika dieser Ordnung. Das sind die Rahmenbedingungen, in denen sich relative Auf- und Abstiege beobachten lassen, in denen folglich auch Europa seinen Platz neu ausloten muss.
    Das schließt ein, dass wir mit deutlich größerer Vorsicht, ja vielleicht sogar mit einem Verzicht auf eine Politik der Belehrung, der Besserwisserei und der Vorschriften gegenüber anderen unser Augenmerk darauf richten, dass sich unsere eigenen Interessen durchsetzen lassen. Das bedeutet zunächst und vor allem, dass wir eine größere Bereitschaft aufbringen müssen, von anderen zu lernen. In unseren Köpfen steckt beispielsweise noch das Bild, dass China ein kommunistisches System ist. Das ist auch so und hat politische Konsequenzen für das Verhalten des Landes, die man mitnichten außer Acht lassen darf. Aber alles, was in unseren klassischen Lehrbüchern über kommunistische Systeme steht, trifft auf China heute nicht mehr zu. Dies ist formal ein kommunistisches System, von dem wir glauben zu wissen, wie es funktioniert, von dessen wirklicher innerer Funktionsweise wir aber wenig verstehen. Die Bedeutung Chinas für westliche Ökonomie und Politik muss niemandem mehr klargemacht werden. Sie ist offensichtlich. Aber was wissen wir eigentlich über dieses Land?
    Lebhaft in Erinnerung ist mir die Frage eines deutschen Konzernchefs an seine 40 deutschen und französischen Kollegen, die alle um einen Konferenztisch in Evian versammelt waren, wer von ihnen denn die neun Namen der Mitglieder des Ständigen Ausschusses des chinesischen Politbüros überhaupt kenne. Immerhin ist das der Kreis von Spitzenpolitikern in China, denen die letztendlichen Entscheidungen über Wohl und Wehe der Politik obliegen. Die Blicke, die um den Tisch ausgetauscht wurden, ließen keinen Zweifel: Niemandwusste alle neun Namen zu benennen. In einem westlichen Land, in dem vergleichbare Investitionen wie in China getätigt wurden, wäre so etwas wohl kaum der Fall. Ob es nur an den schwierigen und für manchen unaussprechlichen chinesischen Namen liegt? Oder ist es nicht auch ein Beleg dafür, wie wenig wir über ein Land wie China und seine Regierung wissen – und wie wenig wir uns eigentlich auch dafür interessieren? Was für China gilt, lässt sich auch für Indien, Brasilien und die anderen Aufsteigerstaaten feststellen.
    Ich habe schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass Europa von Asien eine Menge lernen kann. 91 Eine der wichtigsten Lektionen scheint mir die folgende zu sein: In vielen asiatischen Kampfkünsten gibt es das Prinzip der Energieumlenkung: Energie, die gegen einen selbst gerichtet ist, soll nicht mit hohem Kraftaufwand abgeblockt, sondern so umgelenkt werden, dass sie sich im eigenen Sinn gegen den jeweiligen Gegner richtet. Was für Shaolin-Mönche zum Elixier ihrer Kampfkunst gehört, ist für Staaten nicht so ohne Weiteres umsetzbar. Aber die grundsätzlichen Einsichten können bei der Formulierung strategischer Ziele, zuweilen sogar bei der Lösung konkreter Probleme durchaus hilfreich sein. Die Forderung nach Abschottung wird immer wieder erhoben, um Europas Arbeitsmärkte vor Jobverlusten und seine Unternehmen vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Wenn Migrationswellen drohen, werden solche Überlegungen fast automatisch als Abhilfe ins Feld geführt. Und wenn Wertefragen ins Spiel kommen, sind automatisierte Abwehrreflexe an der Tagesordnung. Wenn man hingegen bereit wäre, auch nur ein wenig von Asien zu lernen, wäre die Schlussfolgerung relativ einfach: Europa kann zu seinen Werten stehen, ohne sie missionarisch zur Voraussetzung für politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu machen. Der Verzicht auf Belehrung müsste dann aber auch die Bereitschaft einschließen, über künftige Formen der Zusammenarbeit mit Partnern auf der ganzen Welt weniger wertefundamentalistisch nachzudenken, als es bislang der Fall war.
Neue Wege der Kooperation suchen!
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