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Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Titel: Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Autoren: Felicitas Mayall
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OBWOHL ES LÄNGST dunkel war, trippelten noch immer Tauben zwischen den Buden des Weihnachtsmarkts herum, der bis in die Fußgängerzone Richtung Karlsplatz hineinwucherte. Donatella Cipriani verabscheute diese Vögel, überall schienen sie zu sein, bevölkerten auch römische und Mailänder Winter- und Sommernächte, die Plätze von London, Paris, verpesteten den Markusplatz von Venedig und den Campo von Siena. Die Tauben passten sich den Menschen an, verloren ihre natürlichen Instinkte. Sie machten die Nacht zum Tag, schliefen dafür am Morgen länger, litten vermutlich unter Schlafmangel und wurden anfällig für Infektionskrankheiten – wie die Menschen. Sie vögelten sogar nachts, im Schein von Neonlampen. Auch das hatte Donatella Cipriani beobachtet, und es war ihr wie eine Perversion erschienen, ähnlich dem Nachtleben vieler Menschen. Wie ihr eigenes.
    Sie ging sehr langsam, blieb immer wieder vor den großen Auslagen der Geschäfte stehen, die erst vor einer halben Stunde die Türen geschlossen hatten. Trotzdem waren kaum noch Menschen unterwegs, als hätte jemand sie weggezaubert. Nur die Tauben waren noch da. Mit aller Kraft konzentrierte sich Donatella Cipriani auf die Waren in den Schaufenstern, sah trotzdem durch sie hindurch auf etwas anderes, das hinter all diesen Lichtern und Weihnachtsdekorationen lag. Obwohl Nacht war, trug sie eine leicht getönte große Sonnenbrille. Ein breiter Seidenschal bedeckte ihr Haar, verhüllte auch ihren Mund.
    Sie war sich nicht sicher, ob ihr Entschluss richtig war, und sie hatte Angst. Zweimal ging sie an der Abzweigung zum Polizeipräsidium vorbei. Beim ersten Mal lief sie weiter bis zum Karlstor, kehrte verwirrt um, studierte ein Filmplakat und wusste schon ein paar Minuten später nicht mehr, welchen Film es dargestellt hatte.
    Unruhig kehrte sie zum Marienplatz zurück, fühlte sich vom Geklapper ihrer eigenen Absätze verfolgt und bemerkte, dass immer mehr Tauben wie Lappen von den Dächern fielen, dunkle, gurrende Tauben, denen die milden Winter und künstlich erhellten Nächte ein ewiger Frühling waren. Ohne nachzudenken, trat sie nach einem dickkehligen, buckelnden Täuberich, verfehlte ihn knapp. Er flatterte ein paar Meter, trippelte dann balzend weiter, als wäre nichts geschehen.
    Sie rannte hinter ihm her, jagte ihn erneut hoch, blieb keuchend stehen und sah ihm nach, wie er sich auf einen Sims der Michaelskirche flüchtete und von dort auf sie herabstarrte. Der Sims war zu schmal für ihn, deshalb klebte er regelrecht an der Wand. Panisch, mit abgeknicktem Flügel, ab und zu flatternd das Gleichgewicht haltend. Seine Augen schienen rot zu glühen, doch das war vermutlich nur der Widerschein einer Leuchtreklame.
    Ihr war heiß, und sie hätte gern einen Stein nach ihm geworfen, doch mitten in der Fußgängerzone gab es keine Steine.
    «Was ham S’ denn gegen die arme Taub’n?», fragte ein Mann, der Donatella bei ihrer Attacke zugesehen hatte. Sie verstand ihn nicht, beachtete ihn nicht, ging schnell weiter. Es war dumm von ihr gewesen, nach der Taube zu treten und ihr nachzulaufen. Sie durfte nicht auffallen.
    An der Abzweigung zur Ettstraße blieb sie stehen. Der Mann war ihr nicht gefolgt, doch er schaute ihr nach. Hell erleuchtet lag der Hof des Polizeipräsidiums vor ihr, die Gitterstäbe des hohen Zauns zeichneten sich scharf ab. Noch immer blickte der Mann in ihre Richtung. Deshalb lief sie weiter, näherte sich langsam dem Tor und den beiden jungen Polizisten, die dort Wache hielten. Das Tor war verschlossen. Donatella Cipriani ging bis zum Ende des riesigen Gebäudes und kehrte wieder um.
    Vielleicht war sie gerade dabei, die größte Dummheit ihres Lebens zu machen. Vielleicht wäre es besser, in den nächsten Zug zu steigen und nach Mailand zu fahren. Oder nach Amsterdam oder Paris oder Hamburg. Aber es konnte auch sein, dass es günstiger war, um Einlass in dieses ein wenig furchterregende Gebäude zu bitten und zu tun, was sie sich vorgenommen hatte.
    Niemand wusste von ihrem Plan, auch ihre Rechtsanwältin in Mailand nicht. In ihrer Heimat durfte keiner etwas erfahren, und dort würde sie auch niemals zur Polizei gehen. Aber hier in München könnte ihr Plan funktionieren. Sie musste nur all ihre Autorität und Überzeugungskraft einsetzen. Nichts durfte an die Öffentlichkeit dringen. Aber das läge im Interesse der Ermittler selbst. Wirklich? Machte sie sich auch nichts vor?
    Donatella Cipriani legte zwei Finger seitlich an den Hals
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