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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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aller Dinge ist. Die Konflikte in Nordafrika und dem Nahen Osten bewegen die Organisation zum Umdenken.« Und so drückt sie in ihrer Schlussfolgerung eine Hoffnung aus, von der mansich nur wünschen kann, dass sie auch bei der Debatte um die Zukunft Europas Wirklichkeit wird. »Und vielleicht können die globalen Ereignisse in diesen Wochen, ob auf dem Tahrir-Platz oder in Fukushima, herbeiführen, was noch nicht mal die Finanzkrise geschafft hat: ein weltweites Umdenken.« 89 So gesehen besteht kein Grund für übertriebene Skepsis.
    Hören wir also auf, uns selbst mit wohlgesetzten Worten in die Tasche zu lügen. Veränderungs- und Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig – und sie liegen nicht nur im Aufgabenbereich handelnder Politiker. Sie liegen auch im Wirkungsbereich all derjenigen, die sich analysierend und kommentierend an entsprechenden Debatten über die Zukunft Europas beteiligen. Nicht zuletzt die Idee zu diesem Buch beruht auf der Einsicht, dass ein Prinzip Gültigkeit hat, das George Soros das »Prinzip der Reflexivität«nennt.
    Der Sachverhalt ist einfach zu erklären: Wer naturwissenschaftliche Zusammenhänge beobachtet, versucht zu verstehen. Wie immer dieser Verständnisprozess aussieht, ob er gelingt oder nicht, wie er formuliert wird oder welche weiteren Probleme er aufwirft, die Funktionsweise der Natur verändert sich dadurch nicht. Chemische Verbindungen bleiben gleich, ob wir sie verstehen oder nicht. Physikalische Gesetze gelten unabhängig davon, ob wir sie nachvollziehen können oder ob sie uns vor Verständnisprobleme stellen. Wer hingegen politische und soziale Zusammenhänge beobachtet, versucht sicherlich auch zu verstehen, er muss sich aber darüber im Klaren sein, dass jeder Versuch, dieses Verständnis zu formulieren und mit Dritten zu teilen, letztendlich das Potenzial der Veränderung dieser sozialen Wirklichkeit in sich birgt. Man erinnert sich vielleicht an den Hinweis von Karl Marx, dass Philosophen die Welt nur unterschiedlich interpretiert haben, es aber darauf ankomme, sie zu verändern. Soros selbst formuliert dieses Prinzip der Reflexivität wie folgt: »Die Phänomene der natürlichen Welt sind unabhängig von den Aussagen, die Forscher über sie machen, sodass die Fakten als Kriterium dienen können, an dem die Wahrheit oder Gültigkeit von Aussagen gemessen werden kann. Wenn eine Aussage mit den Tatsachen übereinstimmt, ist siewahr; wenn nicht, ist sie falsch.« 90 Er nennt das die »kognitive Funktion« von Forschung im Unterschied zu ihrer »partizipativen Funktion«, die den Beteiligten an Debatten über politische Wirklichkeit zukommt, wenn sie selbst Teil des zu beobachtenden Systems sind. Entsprechend kann es in solchen Fragen kein objektives Wissen geben. Und hier liegt auch ein wesentlicher Grund dafür, dass Nachdenken über Politik und die Realität der Politik deutlich auseinanderklaffen können.
    Der Hinweis, partizipative Reflexivität in ihrer Wirkungsweise anzuerkennen, sie sogar bewusst und gezielt zu nutzen, führt dazu, entsprechende Debatten weniger voreingenommen und offen für Überlegungen zu führen, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus den bisherigen Debatten ausgeblendet blieben.
    Wenn man in diesem Sinne anerkennt, dass eine der wesentlichen intellektuellen und politischen Konsequenzen aus einem Jahrzehnt des Schreckens darin besteht, dass westliche Werte nicht mehr die Welt beherrschen, westlich dominierte Institutionen ihre Regelungsakzeptanz verloren haben und Multipolarität keine Garantie für Sicherheit und Wohlstand ist, führt kein Weg daran vorbei, in solchen Zusammenhängen neu über einen alten Begriff nachzudenken.
    Die Rückkehr der »Geopolitik« ist längst eine Tatsache, auch wenn der Begriff im Deutschen wegen seiner historischen Belastung durch den Missbrauch im Nationalsozialismus zur Begründung von »Lebensraum« gerne vermieden wird. In Kategorien von Geopolitik zu denken, galt lange Zeit als verpönt und steht auch heute noch immer wieder in dem Verdacht, politisch nicht korrekt zu sein. Im englischen Sprachraum ist das ganz anders. »Geopolitics« gehört zu den selbstverständlichen konzeptionellen Begriffen bei der Verständigung über globale Zusammenhänge, Macht- und Konfliktkonstellationen auf der Ebene unterhalb offener Gewaltaustragung. Trotz aller technologischen Veränderungen, die die heutige Weltpolitik bestimmen, bleibt nämlich der Zusammenhang zwischen geografischer Größe und Lage, der
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