Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
Vom Netzwerk:
sind das Gebot der Stunde für eine Europäische Union, die nach einer neuen globalen Rolle sucht. In ersten Ansätzen wird diese Notwendigkeit auch schon im politischen Raum anerkannt. Wenn ein Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung beispielsweise in Klimafragen anregt, dass Deutschland subglobale klimapolitische Allianzen formen muss, um die wechselseitige Blockade zwischen China und den USA zu durchbrechen, ist die Richtung aufgezeigt, in der sich auch künftig europäisches Denken entwickeln muss. 92
    Das setzt allerdings voraus, dass Europa auf den Overkill strategischer Partnerschaften verzichten und bewusst und gezielt auf »coalitions of the capable and willing« setzen muss. Natürlich müssen dafür geschlossene Verträge und Vereinbarungen nicht aufgehoben werden. Solche Albträume eines jeden Diplomaten stehen nicht zur Debatte. Aber von strategischen Partnerschaften im eigentlichen Sinne wird man nur reden können, wenn das Ausmaß an gemeinsamen Werten, Interessen und politischen Zielen eine solche Charakterisierung zulässt. Ansonsten fällt man allzu leicht in die Falle der Gebetsmühlenpolitik, die in ständiger Wiederholung Dinge schönredet, die in der Realität ganz anders aussehen.
    Die Zusammenarbeit mit Autokratien darf bei der Suche nach Problemlösungen nicht zum Tabu werden. Nicht jeder wird es gerne lesen, aber »good governance«, die Regeln guter Regierungsführung, sind Europas Kapital, jedoch nicht sein primäres Exportprodukt. Das gilt noch viel mehr für die ständig gegebene Versuchung, Werte zu ideologisieren. Nur so lassen sich unnötige und auf Dauer gefährliche doppelte Standards vermeiden. Europa braucht einen weit größeren Pragmatismus im Umgang auch und gerade mit unliebsamen Partnern, als das bislang der Fall ist. Niemand verbietet es uns, stolz zu sein auf die Errungenschaften westlicher Werte. Und niemand wird im Westen ernsthaft daran zweifeln, dass diese Werte hochzuhalten sind in internationalen Auseinandersetzungen um Werte und Interessen und als wichtiger Aspekt Berücksichtigung finden müssen. Aber wer unter demSegel einer fadenscheinigen Wertepolitik glaubt, in der immer raueren See einer multipolaren Welt letztendlich den sicheren Hafen erreichen zu können, ist vermutlich gegen unkalkulierbare Risiken auf diesem Weg schlecht gewappnet. Pragmatismus ist nichts Schlechtes. Die Chinesen machen es uns vor. Europa wäre gut beraten, diesem Beispiel zu folgen.
    Das heißt aber auch: Europa muss erwachsen werden und sich von den USA politisch und strategisch emanzipieren. Das Ziel muss in einer engen Partnerschaft ohne Abhängigkeit bestehen. Die USA haben Europa längst ein gutes Stück weit abgeschrieben und eine deutlich pazifische Perspektive eingenommen. Technologische Großprojekte wie Airbus, Galileo und Ariane sind ein richtiger Weg, um Eigenständigkeit zu erreichen, aber auch um die Voraussetzungen zu schaffen, diese zentrale Partnerschaft für Europa auf eine neue Grundlage zu stellen.
Offene Prozesse akzeptieren!
    In Debatten um die globale Rolle Europas wie auch seiner internen Handlungsfähigkeit spielen Institutionen eine dominierende Rolle. Das ist sicher verständlich und natürlich auch wichtig. Dennoch zeigen die Veränderungen, die unter Bedingungen beschleunigter Komplexität ablaufen, dass das Denken in Institutionen sehr schnell an seine Grenzen stößt. Es geht nämlich um die Frage, wie unvermittelt entstehende Probleme unter minimalen zeitlichen Rahmenbedingungen bewältigt werden können. Selbst wenn man von Naturkatastrophen, wie sie im März 2011 Japan ereilt haben, absieht, zeigt sich, dass das Denken in Prozessen tendenziell immer stärker an Bedeutung gewinnen muss. Und viele dieser Prozesse werden durch menschliches Zutun beschleunigt. »Meist braucht es einen konkreten Auslöser, um ein ›Emerging Issue‹ zum Eskalieren zu bringen. Wenn dies dann passiert, reagieren Politik, Wirtschaft und Medien zunächst überrascht, doch schon nach kurzer Zeit reden alle darüber, dass die zugrunde liegenden Probleme ohnehin seit Langem bekannt sind.« 93 Diese Einschätzung zeigt, wie wichtig es in Zukunft sein wird, das Denken in Institutionen durch ein Denken in Prozessen zu ergänzen, ohne allerdings Gefahr zu laufen, bei der Suche nach verlässlichen Rahmenbedingungen in die Falle zu tappen, nach großen Visionen zu suchen. Das genaue Gegenteil erscheint aus heutiger Sicht notwendig und Erfolg versprechend.
    Wir dürfen nicht nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher