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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Großbritanniens nicht mehr der alten Größe entspricht und auch die strategische Handlungsfähigkeit letztendlich von der Zusammenarbeit mit den USA abhängt, unterstreicht, wie deutlich der Abstieg von einer einstigen Weltmacht zu einer europäischen Regionalmacht ausgefallen ist. Aber Großbritannien hat es immerhin geschafft, diesen kontinuierlichen Niedergang so zu managen, dass er ohne massive interne Umwälzungen oder gar revolutionäre Umbrüche und Katastrophen vonstattengehen konnte.
    Das zweite Modell könnte gut und gerne die Schweiz sein. Hier liegt die Vorbildfunktion für Europa vielleicht nicht unmittelbar auf der Hand. Natürlich verbieten sich bei solchen Vergleichen unmittelbare Parallelen. Aber als Denkmodell kann es helfen, ohnehin eintretende Entwicklungen aus einer anderen Perspektive zu sehen und damit auch die Möglichkeiten politischer Reaktionen zu verändern. Als kleines Land im Herzen Europas, das unter den üblichen Machtkategorienkeinerlei Qualifikationen besitzt, international eine wesentliche Rolle zu spielen, hat es die Schweiz geschafft, den Wohlstand seiner Bürger, ihre Sicherheit und ihre Zukunftsperspektiven auf beeindruckende Weise zu bewahren. Der internationale Einfluss der Schweiz begründet sich nicht auf die üblichen Kriterien von Bevölkerungsgröße, strategischer Lage (mit Ausnahme der Zentrallage im Herzen der EU), einer Führungsposition als Wirtschaftsmacht oder gar militärischem Einfluss. Aber als globales Finanz- und Bankenzentrum, nicht zuletzt auch als Sitz einer Vielzahl internationaler Organisationen strahlt dieses kleine Land eine Bedeutung aus, die Einfluss jenseits traditioneller Machtpolitik sichert. Wohl aus diesen Gründen wird der Vergleich mit der Schweiz gelegentlich bemüht, wenn die Frage nach der künftigen Rolle Europas in einer multipolaren Welt gestellt wird. »Eine Vielvölker-Föderation der Europäer als ›Schweiz der Welt‹ ist eine politische Vision, für die es sich zu kämpfen lohnt«, 95 forderte schon zwei Wochen nach dem Fall der Mauer der ehemalige Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und handelte sich im SPD-Parteivorstand heftige Schelte ein, weil er sich entgegen der damaligen Mehrheitsmeinung an der Parteispitze damit auch für eine deutsche Wiedervereinigung aussprach.
    Übertragen auf Europa bedeutet dies, dass sich Europas Rolle in der Weltpolitik der Zukunft nicht auf überkommene Machtwährungen wird stützen können. Das muss keine Schwäche sein, zumal der politische Wille und die Kapazitäten, traditionelle Militärpotenziale aufzubauen, allenfalls begrenzt sind. Wir haben bei den Überlegungen zu den geopolitischen Veränderungen unserer Zeit bereits gesehen, wie sehr sich Machtwährungen derzeit auf globaler Ebene verschieben. Das einstige Übergewicht militärischer Aspekte wird heute durch die Bedeutung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, in zunehmendem Maße aber auch finanzpolitischer Stabilität immer stärker ausgeglichen. Die Begriffstrias »hard power«, »soft power«, »smart power« macht deutlich, dass globaler Einfluss in Zukunft eben nicht nur durch stehende Heere, die Zahl von Raketenköpfen oder verfügbaren Panzerbataillonen bestimmt wird. Die Fähigkeit, sich in einemrasant verändernden Umfeld auf neue Herausforderungen einzustellen, also mit Flexibilität im Handlungsvermögen anstatt mit institutioneller Starre und einer Politik der Beharrung auf solche Herausforderungen zu reagieren, wird künftig über Wohl und Wehe machtpolitischen Einflusses entscheiden. Während sich überkommene Partnerschaften grundlegend verändern und neue Akteure in ihrer Verlässlichkeit als Kooperationspartner noch schwer einzuschätzen sind, bleibt für Europa also die Aufgabe, die eigene Diversität und nicht das Streben nach institutionalisierter Konformität stärker zu nutzen.
    Wenn man die bisherigen Überlegungen noch einmal zusammenfasst, ergeben sich eine Reihe von Einsichten für die strategische Aufstellung Europas in einer multipolaren und zunehmend nicht polaren Welt. Zum Ersten wären Europa und der gesamte Westen gut beraten, sich mit Vorrang um ihre eigenen Interessen, Fähigkeiten und Zukunftsperspektiven zu kümmern. Das schließt ein, damit aufzuhören, den Schulmeister der Welt spielen zu wollen. Ein radikal neuer Politikansatz muss Vertrauen schaffen, indem er Platz macht für die Entfaltung neuer Akteure, gemeinsame Institutionen baut und auf
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