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Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)

Titel: Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
Autoren: P. J. Brackston
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1
    V or langer Zeit in einem fernen Land weinte laut schniefend ein einsamer Riese. Das klagende Geräusch erfüllte die Höhle, in der er hauste, und die Flammen der Fackeln flackerten im Luftzug seiner erstickten Schluchzer. Seine groteske Gestalt bildete einen riesigen schwarzen Schatten vor den tropfnassen Felswänden, sogar noch als Silhouette grässlich anzuschauen. Mit dem klobigen Handrücken wischte er sich über die Nase und verteilte eine Schicht schleimigen Sabbers auf seinem Gesicht. Aus einem tieferen Bereich der labyrinthartigen Höhle mischten sich die Klagerufe kleinerer, zerbrechlicherer Kreaturen in das Gejammer. Der Riese hörte einen Moment zu schluchzen auf, um zu lauschen. Ein finsterer Ausdruck legte sich auf seine groben Züge und verzerrte sein Gesicht zu Furcht einflößender Wildheit.
    »Seid still«, grummelte er, doch die Schreie rissen nicht ab.
    » SEID STILL !!!«, donnerte er und hämmerte die Faust mit solcher Wucht auf den Tisch, dass er zu Kleinholz zerbarst.
    Die Schreie verstummten.
    *
    Gretel (genau, die Gretel) lag auf ihrem Schlafsofa und versuchte, das Gehämmer an der Tür zu überhören. Es war beinahe so laut wie das Hämmern in ihrem Kopf. Den Vorabend hatte sie in einem seltenen Anfall schwesterlicher Solidarität damit verbracht, zusammen mit Hänsel (jawohl, der Hänsel) zuviel zu trinken. Nun hatte sich hinter ihren Augen ein Kater von bemerkenswerter Hartnäckigkeit eingenistet. Sie zog sich ein seidenes Kissen über den Kopf, im Stillen damit beschäftigt, Hänsel zu verfluchen   – und mit ihm Bier und Enzianschnaps und Leute, die an Türen klopften. »Pack dich fort«, ächzte sie. »Wer immer du bist, ich kaufe nichts. Ich hab keine Teppiche oder alten Plunder von bislang unterschätztem Wert, und ich will ganz bestimmt nicht gerettet werden.«
    Wenn sie überhaupt eine Wirkung erzielte, dann die, dass das Klopfen noch lauter wurde.
    »Herrgottsakra!« Mit einem saftigen Rülpser warf Gretel das Kissen von sich und mühte sich von ihrem heißgeliebten, bunt gemusterten Sofa hoch. Unterwegs hielt sie inne, um ihren Morgenmantel fester zu schnüren, und verzog gepeinigt das Gesicht, als sich der Gürtel um ihren nicht unbeträchtlichen Bauch spannte. Ihre Brüste lasteten schwer auf der üppigen Leibesmitte. Die Landschaft, die ihre Figur ihr präsentierte, entlockte ihr einen Seufzer: eine an die Anden gemahnende Kette aus gebirgigen Gipfeln und unauslotbaren Tälern, die keine Diät auch nur im Mindesten zu ebnen imstande war. Sie hatte schon vor langer Zeit akzeptiert, dass sie eine gewaltige Frau war. Nicht einfach nur fett, nein, gewaltig. Gewaltige Knochen, gewaltige Züge, gewaltige Stimme, gewaltige Behaarung. Gewaltiger Appetit. Nichts war geblieben von dem zarten Kind, das sich mit seinem Bruder einst im Wald verirrt hatte. Nichts von dem langbeinigen Teenager, der die Bühne jener lachhaften Nobelschule geziert hatte, zu der sie später auf Geheiß des Königs geschickt worden war. Nicht einmal von der üppigen jungen Frau in den Zwanzigern, die zumindest auf einen bestimmten Typ Mann anziehend gewirkt hatte, war noch etwas zu sehen. Stattdessen stand hier die fünfunddreißigjährigeGretel, die den Körperbau eines übergewichtigen Braunbären hatte und annähernd so viele Haare im Gesicht, zumindest, wenn sie ihre regelmäßigen Waxingtermine nicht einhielt.
    Sie stolzierte am Flurspiegel vorbei, fest entschlossen, seinen kritischen Blick zu ignorieren, räusperte sich geräuschvoll, spie virtuos in den Spucknapf unter der Schusterpalme und riss die Tür auf mit den freundlichen Worten: »Scheiße auch, was willst du zu dieser Stunde?«
    »Es ist beinahe vier Uhr«, entgegnete die gepflegte, zwergenhafte Gestalt namens Frau Hapsburg.
    »Sag ich doch!«
    »Ist das keine übliche Geschäftszeit?«
    Das war eine berechtigte Frage. Ein Umstand, der Gretel nur noch mehr verärgerte. Sie blickte hinauf zu dem Schild, das verkündete, sie sei Gretel (ja, die Gretel)   – Privatermittlerin. Sie runzelte die Stirn und sagte sich im Stillen, dass eine mögliche Auftraggeberin auch eine mögliche Geldquelle darstellte, und ihr Säckel war besorgniserregend mager gefüllt.
    »Besser, du trittst ein«, sagte sie und machte auf dem Pantoffelabsatz kehrt.
    Frau Hapsburg folgte widerspruchslos.
    Gretels Detektei befand sich in einem ehemaligen Speiseraum und beherbergte noch immer eine ansehnliche Sammlung zinnerner Leuchter, konisch, wenn auch staubig, samt der
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