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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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pauschalen Antworten, nach dem großen Wurf und der einen klaren Linie suchen. Das gilt sowohl für den Versuch, eine neue Weltordnung ex ante zu beschreiben, als auch für Entwürfe, die die Zukunft Europas betreffen. Jeder Versuch dieser Art birgt die Gefahr, in populistischen, ideologischen oder fundamentalistischen Sackgassen zu landen. Das gilt auf nationaler Ebene genauso wie im globalen Kontext.
    Was wir brauchen, sind Regeln, die sich selbst verstärken. Dabei zählen nicht so sehr fest gefügte Institutionen mit ihren starren Strukturen, sondern effiziente Lösungen, die durch Flexibilität und Schnelligkeit zustande kommen. Im offenen Wettbewerb um die besten Lösungen werden Fortschritte in der internationalen Politik erzielt und vielleicht auch wieder verlässliche, handlungsfähige und gut legitimierte institutionelle Strukturen geschaffen.
    Im Rahmen dieses pragmatischen Verständnisses von Kooperation muss Europa auch die Bereitschaft entwickeln, Platz zu machen für die aufsteigenden Nationen, um so den Weg für eine möglichst konfliktfreie machtpolitische Integration der neuen Mächte zu eröffnen. Auch dies ist einfacher gesagt als getan, denn Platz machen bedeutet schließlich nichts anderes, als eigene Macht zu teilen, im Zweifelsfall auch bewusst abzugeben. Jeder von uns weiß, dass das nicht nur für Individuen, sondern auch für Staaten nicht unbedingt zu den leichtesten Übungen gehört.
Platz machen!
    Der Verlust des Gefühls von Sicherheit, drohendes Abrutschen an die Armutsgrenze trotz Beschäftigung, die Überspannung der sozialen Netze durch den demografischen Wandel, aber auch ein fragwürdiger Umgang mit Problemen der Migration und der langfristig soliden Finanzierung von Staatshaushalten führen gerade in Demokratien zu heftigen Auseinandersetzungen, immer wieder auch zu öffentlichem Protest und schließlich zum Aufkommen politischer Kräfte, für die Demokratie kein Selbstzweck ist. Die Risiken des Beiseitetretens für andere sind entsprechend groß.
    Trotzdem liegt viel Sinn darin, bewusst Platz zu machen, auch wenn diese Forderung auf den ersten Blick völlig widersinnig klingt. Warum sollte Europa Platz machen, also beiseitetreten, damit andere ihre machtpolitischen Gelüste und Ansprüche befriedigen können? Die Antwort ist eigentlich einfach: Die Bereitschaft, Platz zu machen, ist notwendige Voraussetzung, um zu verhindern, dass in den derzeitigen Prozessen globaler Machtverschiebung Konflikte entstehen, deren Kosten unkalkulierbar sind, aber immer zulasten Europas, seiner Sicherheit, aber auch seiner globalen wirtschaftlichen Interessen gehen. Ein solches Verhalten setzt aber notwendig voraus, dass mittlerweile übliche Angstdebatten und erst recht starrsinnige Machtpolitik aus Gewohnheit der Vergangenheit angehören. Im Sommer 2011 eröffnete sich für eine solche Politik des strategisch bewusst eingesetzten Platzmachens eine unverhoffte Chance. Europa hat sie wohl verpasst. Aber auch verpasste Chancen zeigen, worum es in Zukunft geht.
    Nur mit Mühe haben es die Europäer im Juni 2011 geschafft, ihren scheinbar unverbrüchlichen Anspruch auf die Spitzenposition im IWF zu behaupten. Die unerwartete Notwendigkeit, einen Nachfolger für den Franzosen Dominique Strauss-Kahn zu finden, hat zunächst vor allem die europäischen Regierungen überrascht, die schnell einen neuen und überzeugenden Kandidaten präsentieren mussten. Aber die aufsteigenden Schwellenländer ließen unverkennbar ihre Muskeln spielen, obwohl es auch ihnen an der Zeit fehlte, sich in ihrem Verhalten zu koordinieren und einen zustimmungsfähigen Gegenkandidaten aufzubauen. Dennoch signalisierten sie sehr deutlich ihren Anspruch auf einen Platz für einen der Ihren an der Spitze einer internationalen Finanzinstitution. Dabei ist ihnen zumindest eines gelungen: Sie haben mehr als deutlich gemacht, dass der alte europäische Führungsanspruch, gemeinsam mit den USA die beiden wichtigsten globalen Finanzinstitutionen Weltbank und IWF zu kontrollieren, nicht mehr akzeptiert wird.
    Und was tun die Europäer? Sie igeln sich in der Wagenburg ihrer Machtansprüche ein und halten verbissen an einem überkommenen Privileg fest, von dem jedes Kind erkennen kann, dass ein solches Verhalten auf Sicht zum Scheitern verurteilt ist.
    »Mit ihrem Griff nach dem Chefsessel des Währungsfonds bestätigen die Europäer, was ihnen die Schwellenländer schon lange vorwerfen: dass es ihnen nur um die eigenen Vorteile geht«,
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