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Splitterfasernackt

Splitterfasernackt

Titel: Splitterfasernackt
Autoren: Lilly Lindner
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    Prolog
    V
ielleicht arbeite ich ja nur deshalb in einem Bordell, weil Männer an einem Ort wie diesem für ihre Triebe bezahlen müssen und weil sie auf diesem Weg nicht einmal annähernd zu meinem Herzen durchdringen können. Sie sind nur ein flüchtiger Schwarm zirpender Wanderheuschrecken. Ein Rudel schwanzwedelnder Hunde.
    Es gibt Männer, die stellen ihre Frau vor dem Baumarkt ab und sagen: »Schatzi-Mausi, ich gehe nur schnell ein paar Dübel kaufen … wartest du bitte kurz hier auf mich – im Baumarkt langweilst du dich ja sowieso bloß …« Und dann verlassen diese Männer den Baumarkt durch den Zugang um die Ecke und gehen auf einen Zehn-Minuten-Fick in ein Bordell. Für solche Notfälle haben Männer sogar immer eine ungeöffnete Packung Dübel oder Schrauben als Alibi in der Tasche.
    Das ist die Welt, in der ich meine zu kurzen Röcke und mein gefälschtes Lächeln trage.
    Warum sollte ich je wieder Sex haben, ohne dafür bezahlt zu werden? Aus Liebe? Nein danke. Nicht einmal mit Rückgaberecht. Das ist viel zu kompliziert. Und die Miete lässt sich davon auch nicht bezahlen.
    Das habe ich nur so dahingeschrieben.
    Eigentlich meine ich das Gegenteil.
    Was kann schöner sein als der erste Kuss oder ein ehrlich gemeintes Lächeln. Was ist wertvoller als geschenkte Zeit und eine liebevolle Berührung.
    Es gibt Augenblicke, in denen ich mich frage: »Wie konnte ich es nur wagen, meinen Körper gegen die Sucht, in fremde Arme zu fallen, einzutauschen? Und mit welchen Worten kann ich ihn wieder in Empfang nehmen, falls ich ihn eines Tages zurückbekommen sollte?«
    Es ist ein Alptraum, dieses Spiel mit einem geschändeten Körper zu treiben.
    Wenn ich Sex auf dem goldenen Himmelbett in Zimmer vier habe, starre ich verloren den orangegelben Leuchtschlauch an. Ich sehe Licht, denke ich mit meinen ausgebrannten Gehirnzellen und verharre regungslos im Nichts. Ich fühle einen Körper auf mir – gut, wenn er nicht verschwitzt und klebrig ist. Schlecht, wenn er es doch ist. Ich schlinge meine verzweifelten Arme um einen Kunden, wenn ich ihn mag. Ich lasse meine Arme schlaff auf dem Bettlaken verweilen, wenn ich ihn nicht mag. Ein unbedeutendes Stöhnen an meinem Ohr, eine Wange ganz dicht an meiner. Wenn ich meinen Gast nett finde, ist es okay, wenn nicht, bin ich woanders.
    Den schlimmsten Sex im Leben kann man nur einmal haben.
    Und ich habe ihn längst hinter mir. Damals …
    Mit jedem Tag bin ich weiter weg davon.
    Es sind meine Masken, die einen Teil von dem aufgewühlten Sturm in mir verraten: An leuchtenden Tagen bin ich die beste Liebhaberin, die man sich zu gönnen wagt; an dunklen Tagen bin ich die geilste Nutte, die man kaufen kann.
     
    Meine Sätze sind unruhig. Zwischen den Zeilen wandern ungreifbare Gedanken hin und her. Ich versuche, ein paar Kommas zu verschieben, die hässlichen Wörter gegen schönere auszutauschen.
    Aber ich bin zu müde. Ich kann nicht mehr.
    Ich reiße Männer auf. Und Kondomverpackungen.
    Ich reiße und reiße, und alles zerbricht.
    Vielleicht sollte ich davonrennen und mich in einem nachtschwarzen Wald vor mir selbst verstecken. Dort könnte ich tagelang keinen Sex haben – ich würde vergessen, wie ein Schwanz schmeckt, ich würde aufhören, den kleinsten gemeinsamen Nenner von mir und mir und mir zu suchen. Es würde anfangen zu regnen. Und ich würde dort an einem wunderschönen verlassenen See sitzen, und der Regen würde leise flüsternd die Schande von meinem Körper tragen.

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    VORSPIEL
    1
    D er erste Mann, mit dem ich Sex habe, riecht nach Alkohol und kaltem Zigarettenrauch. Seine Hände sind rauh und klebrig, seine Haare ungepflegt, und von seinem Atem wird mir zuerst schlecht, dann schwindlig.
    Er wirft mich auf ein Sofa mit altmodischem Blumenmuster und hält mich mit seiner einen Hand fest, während die andere an seinem Gürtel herumfummelt. Ich weine. Ich sage irgendwelche bittenden Worte, ich stammle zusammenhanglose Sätze, ich flehe ihn an, ich flüstere nein, nein. Nein.
    Meine Stimme fühlt sich fremd an, sie stolpert über meine viel zu trockenen Lippen. Ich versuche sie zu halten, denn wenn ich sie verliere, dann verliere ich auch mich.
    Aber der Mann schlägt mir ins Gesicht, und ich sehe zu, wie mein rechter Schneidezahn durch die Luft fliegt und unter dem Couchtisch verschwindet.
    Es ist ein Milchzahn. Alles ist okay. Ich werde einen neuen bekommen. Wie weich meine Gedanken sich anfühlen, wie sanft. Obwohl ich schreie.
    »Hör
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