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Vier (German Edition)

Vier (German Edition)

Titel: Vier (German Edition)
Autoren: Max Lupin
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    Eins stutzt, bleibt auf dem langen Gang stehen, der ihn hierher geführt hat. Er taumelt, fängt sich. Es ist kalt. Rauchreif schlägt sich auf den Wänden seines Ganges nieder. Seine Kleidung ist eiskalt, in der Zugluft hart gefroren. Seine Finger sind klamm. Er zittert. Er widersteht dem Reflex, sich an einer der Wände abzustützen und hält sich keuchend auf den Beinen. Eins stützt die Hände in die Seiten und läßt den Kopf hängen.
    Die Wände sind der Tod. Sie sind eiskalt. Er weiß es. Sein Blick fällt auf seine Linke und er sieht die schwarzen Narben auf seinen Fingerkuppen. Für einen kleinen, klitzekleinen Moment hatte er die Disziplin fahren lassen. Die Kälte der Wände hatte sich wie ein Messer angefühlt, das jemand durch sein Fleisch bis hinunter auf die Knochen getrieben hatte.
    Eins blickt sich unsicher um. Sind sie noch hinter ihm? Er ist sich nicht sicher. Er hat das Gefühl für Raum und Zeit verloren und will nur noch weiter. Weiter. Weiter.
    Sein Kopf hebt sich und er betrachtet den Silberstreif am Horizont, der vor ihm hängt. In etwa zwanzig Metern Entfernung liegt im brachialen, kalten Licht Dutzender weißer Neonlampen ein Raum am Ende des Ganges. Eins' Augen blinzeln, als er versucht, Details zu erkennen. Es ist eine Kreuzung. Und sie ist nicht mit Rauhreif überzogen. Das alleine reicht ihm.
    Er zwingt sich, sich aufzurichten und die letzten paar, verdammten Meter zu gehen. Mit jedem Schritt seiner tauben Füße bemerkt er, wie es wärmer wird. Es wird wärmer! Endlich! Er zwingt sich weiter, zwingt sich voran; schreit innerlich seine tauben Körperteile an und fühlt sich wie jemand, der auf einen lebensleeren Zombie herabblickt.
    Eins spürt die Kälte in seinem Rücken. Sie ist ihm dicht auf den Spuren, während er dem Licht und der Wärme entgegentaumelt. Flimmernd tanzt das Neonlicht vor seinen Augen, als er die letzten Meter hinter sich bringt. Ein paar Schritte noch, dann hat er die düstere Kälte des Ganges hinter sich.
    Das da vorne ist Überleben , sagt er sich und bringt die letzte Kraft auf, die er hat. Seine Gedanken sind so langsam, daß er sie Wort für Wort, Silbe für Silbe durch seinen tauben Kopf tropfen hören kann.
    Er wirft sich nach vorne, verzweifelt; so als würde ihn die Kälte vielleicht doch noch mit eiskalten Klauen zerreißen können, wenn er nicht schnell genug ist. Seine Arme und versehrten Hände sind so lebensleer, daß sie an seinen Seiten schlackern, während er vorwärtsstürzt. Er stolpert, fällt, kommt wieder ächzend hoch, bringt sich auf die Beine, läuft weiter, ein paar Meter noch!, stürzt wieder, kommt wieder hoch, stolpert weiter. Das Licht, das Licht ... endlich! Dann fällt er ein letztes Mal und bleibt im Lichtkreis liegen.
     
    Zwei sieht auf, als aus dem dunklen, von Rauhreif überzogenen Gang ein Mann hereintaumelt. Er fällt wie ein schlechter Statist von der Seite in den Lichtkreis und bleibt schwer atmend im lauwarmen Licht der Kreuzung liegen.
    Zwei kümmert sich nicht weiter um ihn. Zwei hat keinen Grund, das zu tun. Hier ist sich jeder der Nächste. Hier ist sich jeder der Nächste. Hier ... pochen die Gedanken durch ihren Kopf. Zwei läßt den Blick von dem Mann zu ihren Armen wandern. Die Wunden haben aufgehört zu bluten, doch brennen sie noch immer als würden Millionen Ameisen ihre Säure in die Schrunden gießen. Zwei kauert sich zusammen, als Drei an ihr vorbei geht und sie für einen Moment finster anfunkelt, ohne ein Wort zu sagen. Zwei fröstelt. Ihre Hände berühren die Wunden an ihren Oberarmen, als sie die Arme verschränkt und langsam auf ihrem nackten, zerschundenene Gesäß von vorne nach hinten wippt. Hier ist sich jeder der Nächste. Jeder ... jeder ...  
     
    Drei sieht nicht, wie der Mann in den Lichtkreis taumelt. Er hört es. Er hört den dumpfen Fall, hört ein Geräusch, das ihn absurder Weise daran erinnert, daß man Hunden keine Hühnerknochen geben soll. Drei sieht auf und geht hinüber zu dem Mann, der vornüber auf dem metallenen Boden liegt. Er muß dafür an der Frau vorüber gehen, die etwas versetzt zur Mitte des Raumes im gleißenden Licht sitzt und versonnen die Roben von ihren Wunden puhlt. Sie sieht ihn für einen Moment an, wendet sich dann aber wieder ab, sieht ihn dann wieder an. Er kann nicht anders, als sie wegen ihrer Passivität anzufunkeln. Sie mag durch die Hölle gegangen sein. Aber Gott! Das ist ein Mensch, der dort liegt!
    Er hebt den Kopf des Mannes an, sieht ihm in die
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