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Vier (German Edition)

Vier (German Edition)

Titel: Vier (German Edition)
Autoren: Max Lupin
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verstummte für einen Moment. Dann hörte er die Stimme neben sich, die – wie immer – fragte, wofür er sich entschiede. Er sah zu den Bildschirmen auf und drückte dann ohne zu Überlegen auf die Vier. Immer wieder die Vier. Die Vier war sein Leben. Er war Vier. Vier. Vier!
    "Ich bin Vier", sagte er und sah, wie man die drei Gestalten auf den Bildschirmen ein weiteres Mal bis jenseits aller Grenzen quälte. Er sah eine Frau, die keuchend danach schrie, man möge sie vergewaltigen, wenn man sie dann wenigstens töten würde, er sah, wie ein Mann bei lebendigem Leibe brannte, sah wie ein anderer immer und immer wieder mit Eiswasser überschüttet wurde. Und er härtete ab. Er härtete sich und ihnen gegenüber ab. Er konnte nicht anders. Vier war Leben. Vier war Leben.
    Vier war der einzige Ausweg.
    In einem Anfall von Umnachtung drückte die Vier; wieder und wieder. "Ich bin Vier!", schrie er heraus. "Vier! Vier!" und warf sich in seinem Stuhl zurück. Sein Kopf blieb fixiert, ebenso sein linker Arm. Er griff mit der Rechten nach den Halterungen und woltle sie losreißen, doch eine Stimme aus dem bläulichen Dämmerlich heraus sagte ihm: "Das ist nicht nötig." Er war nicht sicher, ob er diese Stimme überhaupt irgendwann gehört hatte, oder ob sie seinen Gedanken entsprungen war. Er war sich nicht sicher. Überhaupt nicht sicher.
    "Warum?", flüsterte er, als er aufgab, sich befreien zu wollen. "Warum?"
    Du bist Vier.
    Ich bin Vier.
    Vier.
    Er hob die Rechte und rieb sich über das Gesicht. Der Riemen, der seinen Kopf fixierte, schien eine Metamorphose mit seinem Gesicht eingegangen zu sein. Er fühlte sich als bestände er auf dem abgestumpften, mit Nieten überzogenen Leder. Er fühlte sich wie das Leder. Tot. Nur noch die Hülle von irgend etwas, das mal gelebt hatte.
    Vier.
    Ich bin Vier.
    Plötzlich war die Lösung da. Sie war die ganze, verdammte Zeit lang da. Er wollte sich dafür hassen, doch er hatte nicht mehr die Möglichkeit, Gefühle aufzubringen. Weder für sich, noch für Andere. Er war leer.
    Und er hatte die Lösung.
    Für einen Moment zögerte er, dann legte er den rechten Arm auf die Leiste aus Knöpfen, die vor ihm schwebte. Alle vier gleichzeitig rasteten ein. Ungläubig wartet er darauf, daß Schmerz und Tod aufheulen, doch es bleibt ruhig. Er läßt sich für einen Moment schlapp zusammensinken und weint.
     
    Und ist frei .
     
    Vier ist Freiheit . Er wollte lachen, aber das Lachen blieb ihm im Halse stecken, als er sah, wie sich drei Gestalten auf den Bildschirmen aus ihren Folterkammern schleppten. Einen bangen Herzschlag lang blieb er still, spürte, wie ihm Tränen auf den Wangen verliefen, dann begann er tatsächlich zu lachen. Lauthals: Vier. Haha! Vier!
    Er stand langsam aus dem Stuhl auf und sah sich in dem bläulichen Raum um. Das Raunen war verschwunden und auch von der Stimme, die ihn die ganze Zeit die schrecklichsten Dinge gefragt hatte, hörte er nichts mehr. Er war alleine.
    Alleine?
    Er war Vier. Er war der geballte Schmerz. Die geballte Schuld.
    Er lachte leise weiter, als er auf den Ausgang zuging und bemerkte, daß die Schuld eine Lücke gerissen hatte, die er durch nichts mehr würde schließen können. Er war verloren. Er war leer. Unendlich leer.
    Als er den Raum verließ, fiel sein letzter Blick auf das große Bassin, das man ihm gezeigt hatte, bevor man ihn auf den Stuhl geschnallte hatte. Es war bis zum Rand mit Wasser gefüllt, in dem sich das Licht des Raumes reflektierte. Er haßte Wasser. Er hatte Angst vor Wasser.
    Sie hatten ihm gesagt, daß er ins Wasser gehen würde, wenn er sich nicht entschiede. So hatte er sich immer und immer wieder entschieden. Es war ihm zur zweiten Natur geworden.
    Er hatte dabei übersehen, daß sie ihn  mit jeder Frage ein Stück weiter zerstörten. Er überlegte kurz, ob er vielleicht besser hätte ins Wasser gehen sollen, doch schließlich schüttelte er den Kopf. Es war keine Option. Wasser; Wasser hätte er nicht überlebt.
    Nicht einmal so leer wie er jetzt war, wäre er jemals wieder aufgetaucht. Es hätte ihn verschluckt; so wie damals, an jenem Nachmittag. Damals im Pool in Timo's Garten, damals als Frau Müller einmal nicht hingesehen hatte; als sich das Wasser wie eine undurchdringliche Decke über ihn gelegt hatte und ihm den Atem abschnürte. Damals.
    Er schüttelte den Kopf und zwang sich mit stockenden Schritte zu gehen:
    Geh weiter! Bleib nicht stehen!

_

    Vier saß stumm in seiner Ecke, als Zwei und Drei sich
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