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Vier (German Edition)

Vier (German Edition)

Titel: Vier (German Edition)
Autoren: Max Lupin
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sie.
    Er kugelt sich ein in seinem Inneren, läßt die Hitze abprallen und betet; ja, betet. Er betet, daß er geradeaus geht und nicht die Wände berührt.
    Einen wackeligen Schritt noch. Und noch einen. Und noch einen.
    Erst als der Glutschein hinter seinen Augenlidern sich verdunkelt, erlaubt er sich wieder, sie zu öffnen, erlaubt seinem Mund ein leises Keuchen von sich zu geben; erlaubt sich überhaupt erst wieder zu atmen. Und doch verbrennt ihm die heiße, trockene Luft fast noch die Zunge, den Hals und die Lungen. Doch er, er ignoriert den Schmerz und geht weiter. Er kann nicht anders. Er will, bei Gott, nicht in dieser Hölle sterben, deshalb schreit mein Unterbewußtsein mich an:
    Geh weiter! Bleib nicht stehen!

\

    Eisige Kälte. Kälte so schwer wie Bleigewichte. So scharf wie eine Keramikklinge. So beißend wie ein Kampfhund. So lähmend wie ein Gift.
    Er atmet langsam und gesetzt, während sich die Kälte wieder auf seinen Körper legt. Gleich wird sie ihn wieder mit Taubheit einlullen, bis sich am Ende wieder der Schmerz zeigen wird. Er wird plötzlich da sein und so intensiv, daß man meint, er zerreiße einen innerlich. Doch er wird leben. Er wird für eine Ewigkeit auf einem Ozean aus eiskaltem Schmerz dahindümpeln und dann in seiner Verzweiflung darauf hoffen, daß man ihn jetzt noch für den letzten, endscheidenden Moment in seiner beinahe schlafenden Agonie belassen möge, damit sein eiskaltes Blut endlich Herz und Gehirn zum Stillstand brächte. Doch dann wird man ihn zurückholen, zurückreißen in die Realität, wieder ins Leben treiben mit elektrischen Schlägen, die so kalt sind wie das Eis, das man ihm immer wieder auf die Haut legt.
    Er zittert. Sein ganzer Körper zittert. Doch das ist gut. Er weiß inzwischen, daß es erst schlimm wird, wenn man nicht mehr zittert.
    Er möchte aufstehen und weggehen, doch sind seine Glieder so kalt, daß er sich nicht bewegen kann. Selbst, wenn er es könnte – wie sollte er sich von den Fesseln befreien, die man ihm angelegt hat? Breite Lederstriemen, die sich über seine Beine, seine Arme, seinen Torso ziehen. Einer der Striemen zieht sich sogar über seine Stirn, die beständig vom Schmerz pocht. Sie haben ihn dort mit einem Schmerz gefoltert, der unmenschlich war. Die Sorte Schmerz, die einem sagt, daß sie mit kalter Präzision alles zerstören wird, was einem etwas wert ist. Kälte. Kälte ist der perfekte, eiskalte Mörder. Ihr Biß ist ein gezielter, tödlicher; ihre Umklammerung ist so fest, daß man ihr nicht entkommen kann.
    Er bemerkt eine Veränderung an sich, während er so daliegt und man ihn ein weiteres Mal in eine Kälte herabsenkt, die ihn an ein winterliches Grab erinnert: Alles wird ihm egal. Denken wird ihm egal. Leiden wird ihm egal.
    Er will nur noch schlafen; nur noch schlafen. Nicht mehr.
    Er will sich zur Seite drehen und die Decke über den Kopf ziehen; will der Müdigkeit nachgeben und endlich in den seelenlosen Abgrund treiben, der hinter der Kälte wartet.
    Unwillkürlich dreht er sich zur Seite und macht eine Bewegung, wie er sie sonst nur Sonntags Morgens zu machen pflegt, wenn er sich in seinem warmen, kuscheligen Bett noch einmal umdreht, um bis zum Mittag durchzuschlafen.
    Der warme Gedanke tut mehr weh als der Boden, auf dem er aufschlägt. Er tut mehr weh als die Gewißheit, daß es jetzt seine Entscheidung ist, ob er hierbleiben will oder gehen möchte. Er entscheidet sich zu gehen.
     
    Und ist frei .
     
    Er stemmt sich hoch, streift Rauhreif von seinen Armen, sieht sich irritiert um, muß sich sammeln, hört von irgendwo eine Stimme. Jemand spricht zu ihm, doch kommt die Stimme aus weiter Ferne. Sie ist so weit weg, daß er das Gefühl hat, sie läge ganz auf der anderen Seite des Seins.
    Er steht auf, schlotternd geht er ein paar Schritte. Geht weiter. Tritt in einen Gang, der halbdunkel vor ihm liegt und dessen Umrisse sich flirrend vor Kälte von dem noch dunkleren, schattenhafteren Raum absetzen, in dem er gelegen hat.
    Ich muß jetzt gehen , denkt er. Er hat auch für einen kleinen Moment das Gefühl, daß er das auch gesagt hat. Es kommt ihm absurd und grotesk vor, sich von seinen Peiniger zu verabschieden, doch hebt er wie zum Abschied die Hand, kommt ins Straucheln und berührt unbewußt die Wand des Ganges.
    Schmerz zuckt durch seinen Arm. Eiseskälte gleitet durch Nerven und Adern, frißt sich in Haut und darunter liegendes Gewebe. Er zuckt zurück und sieht mit einigem Erstaunen, wie Fingerabdrücke
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