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Vier (German Edition)

Vier (German Edition)

Titel: Vier (German Edition)
Autoren: Max Lupin
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ihrer Ohren. Sie braucht lange, um zu bemerken, daß sie selbst schreit. Sie macht Laute, die sie noch nie von sich gehört hat.
    Sie hört sich, wie sie Dinge sagt, die sie noch nie gesagt hat. Dinge, die so abartig und pervers sind, daß sie sie nicht wiederholen will.
    Sie versteht nicht, warum sie das sagt, sie versteht sich selbst nicht mehr. Sie weiß nur, daß sie leben will. Überleben. Um jeden verdammten Preis.
    In der Absurdität ihres Lebenskampfes nimmt das da unten plötzlich einen Platz ein, der überproportional ist.
    Sie spürt den Druck einer Hand auf ihrer Brust, spürt, wie jemand auf ihr verzweifeltes Angebot eingehen will, macht die Beine breit, will nur noch hoffen, daß dieses letzte Bißchen Selbstaufgabe reicht und spürt, wie etwas eindringt. Sie hört sich schreien, sich keuchen, ächzen. Sie will weg, will den Schmerz nicht spüren; will, daß er – sie – es? - seine Hand von ihrer Brust nimmt. Sie will nicht, daß dort unten etwas passiert. Wie kommt sie darauf, daß ...
    Eine Stimme ihrem Ohr säuselt, daß sie sich ihm hingeben soll. Sie säuselt, daß er es ihr dann leichter macht. Es ist eine Stimme, die so leise ist, daß sie unter all dem chaotischen Schmerz untergegangen ist.
    Sie realisiert, daß sie sich selbst nicht aufgeben will, will ihn forttreten aus ihrem da unten, will weg, will einfach nur weg. Schreit, beißt, geifert. Spürt, wie etwas surrend und brennend in sie eindringt, wie es tief in ihr drin etwas zerreißt.
     
    Und ist frei .
     
    Sie läuft. Stolpert. Gleitet auf ihren blutigen Fußsohlen aus, zwingt sich den brennenden Schmerz an den Sohlen, ja, am ganzen Körper zu unterdrücken. Läuft, läuft, läuft. Hofft, daß sie nicht verblutet. Läuft weiter, weiter. Hört hinter sich etwas, das ihr nachzulaufen scheint; stürzt blind in die Dunkelheit eines Ganges. Berührt mit dem Arm die Wand und fällt schreiend zu Boden. Eine tiefe Wunde klafft dort, wo sie die Wand im Vorgeigehen berührt hat. Sie jault auf, verharrt für einen Moment in völliger Agonie auf den Knien und läßt sich dann von der Angst, daß er-sie-es? sie einholen könnte, weitertragen.
    Im Vorbeilaufen, die Hände schmieren das krustende Blut aus ihren Augen, sieht sie, daß die Wände mit Nägeln, Widerhaken und kleinen Klingen bedeckt sind. Blut klebt daran und der schwere Geruch von geronnenem Blut hängt in der Luft.
    Sie läuft und läuft, rutscht hin und wieder aus, stolpert weiter, hofft auf ein Ende. Ein verdammtes Ende in diesem Gang. Sie will zum verdammten Ende. Sie will raus, raus, raus.
    Ihre Hand berührt die von dem Surrenden Etwas zerrissene Stirn, als sie nach einer Ewigkeit keuchend in einen Trab verfällt. Verdammt. Bitte nicht! Ihre Finger berühren die dünnen Linien einer schon verschorften Wunde, die ganz offensichtlich ein Symbol zeigt. Sie stellt sich vor, welches Symbol es ist, während ihre Finger darüber gleiten.
    Kurz bevor sie es in all der Zerstörung erkennt, hört sie ein Geräusch hinter sich. Es ist ein Schreien; eigentlich weniger ein Schreien als ein Wimmern. Etwas, das in der Ferne verhallt.
    Es reicht ihr, um auf die Beine zu kommen und weiter zu laufen. Sie will nicht mehr dorthin zurück. Nie wieder. Sie will nach vorne. Sie will an das Ende dieses verdammten Ganges. Ganz tief in ihr drin, da ist eine warme Stimme, die ihr sagt:
    Geh weiter! Bleib nicht stehen!

/

    Er bemüht sich in der Sensation des andauernden, auf und ab ebbenden Schmerzes noch so etwas wie klaren Kopf zu bewahren. Er weiß noch immer nicht, wo er ist. Der Raum ist hell, gleißend hell. Irgendwo in dem Licht verbergen sich jene, die ihm das antun, was er seit Stunden – Tagen? - erduldet. Er hat jedes Gefühl für die Zeit verloren, zwingt sich hin und wieder, Herzschläge zu zählen, um wenigstens so etwas wie ein grundsätzliches Gefühl für Raum und Zeit wiedererlangen zu können, wenn der Schmerz endlich aufhört.
    Er kann sich nicht mehr daran erinnern, wie die Folter begann. Er weiß nur noch, wo sie begann. Er spürt den heißen Schmerz noch immer an seiner Stirn. Etwas hat sich tief in seine Haut gebrannt, durch das wenige Gewebe, hinunter bis auf die Knochen. Es hat sich angefühlt, als wolle jemand mit einer glühenden Eisenstange bis in sein Gehirn bohren. Vielleicht war es auch so. Er weiß es nicht.
    Der Geruch von verbranntem Fleisch ist ihm in seiner ganz persönlichen Hölle zum Begleiter geworden. Er hat es immer gehaßt, sich die Finger zu verbrennen, hat
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