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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord
Autoren: Laura Joh Rowland
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Prolog
     
    D
    er Reiter zügelte seine Stute auf einem schmalen Pfad, der zum Fluß Sumida führte, und lauschte in die Nacht. Hatte er irgendwo im dunklen Wald Schritte vernommen? Beobachtete ihn jemand? Die Furcht ließ sein Herz schneller schlagen.
    Doch er hörte nur den eisigen Wind, der in den winterkahlen Ästen der Bäume raschelte, und das leise Hufescharren seines Pferdes, welches sich unruhig bewegte. Hoch über dem Horizont stand hell der letzte Vollmond des alten Jahres und überzog den Pfad und die Bäume mit frostig-silbernem Licht. Der Reiter spähte in die Schatten, doch er sah niemanden.
    Er lächelte verzerrt: Seine Schuldgefühle und die Phantasie hatten ihm etwas vorgegaukelt. Dieser Pfad in den entlegenen Randbezirken im Norden Edos wurde selbst bei Tage nur wenig benutzt. Jetzt, kurz nach Mitternacht, war er menschenleer.
    Wie der Reiter es vorhergesehen hatte.
    Er trieb die Stute voran, durch ein Dickicht aus Ästen und Zweigen, die am Kapuzenumhang des Reiters und dem langen, unförmigen Bündel zerrten, welches hinter ihm auf dem Pferderücken festgebunden war. Die Stute bockte, wieherte leise und blieb stehen; sie war das zusätzliche Gewicht nicht gewöhnt. Der Reiter versuchte, das Tier zu beruhigen, doch es wollte keinen Schritt mehr tun. Als es mit den Hufen aufstampfte, schwankte das Bündel bedrohlich. Rasch griff der Reiter hinter sich und hielt es fest. Eisige Furcht stieg in ihm auf. Das Bündel durfte nicht zu Boden fallen! Der Reiter war ein kräftiger Mann, doch er würde es nicht schaffen, die Last wieder auf den Pferderücken zu heben – nicht hier. Ebensowenig konnte er das Bündel den Rest des Weges bis zum Fluß tragen. Zu Fuß würde es eine Stunde dauern – unmöglich mit einem Bündel, das fast so groß war wie er selbst und zudem noch schwerer. Und falls er seine Last über den Boden schleifte, würden die dünnen Reishalme der tatami- Matten zerreißen, in die er das Bündel eingewickelt hatte, und der Inhalt Schaden nehmen.
    Plötzlich trottete die Stute wieder los, nachdem sie noch einmal mit dem Huf aufgestampft hatte. Die Stricke hielten. Die Furcht des Reiters verebbte. Ihm tränten die Augen, und sein Gesicht wurde taub von der Kälte; obwohl er Handschuhe trug, schienen seine Hände an den Zügeln festzufrieren. Nur das Wissen, daß jeder Schritt ihn der Erfüllung seines Auftrags näherbrachte, verlieh ihm die Kraft weiterzumachen.
    Endlich wurde der Wald lichter, und der Pfad führte steil zum Fluß hinunter. Der Reiter konnte das Wasser riechen und das Plätschern der Wellen hören, die ans Ufer schlugen. Er stieg vom Pferd, band die Zügel um einen Baumstamm und verließ den Pfad.
    Das Boot war noch dort, wo er es gestern zurückgelassen hatte, zwischen den unteren Ästen einer großen Fichte verborgen. Mit seinen froststeifen Händen packte der Mann den Bug des Bootes. Vorsichtig, damit der felsige Boden dem flachen hölzernen Kiel keinen Schaden zufügen konnte, zog er das Boot auf den Pfad, bis er neben der Stute angelangt war. Dann band er die Stricke los, mit denen er das Bündel auf dem Pferderücken festgezurrt hatte. Als der letzte Knoten gelöst war, fiel die Last mit einem lauten, dumpfen Aufprall ins Boot.
    Der Mann schob das Boot den Hang hinunter bis ans Flußufer. Der Hang war nur vierzig Schritt lang, doch steil und uneben. Das Heben und Schieben, Drehen und Wenden des Bootes verlangte dem Mann alle Kräfte ab, so daß er bald vor Anstrengung keuchte. Schließlich gelangte er ans Ufer, und das Boot glitt mit einem zischenden Geräusch ins Wasser. Der Mann watete in den eiskalten Fluß und zog das Boot hinter sich her, bis es genügend Wasser unter dem Kiel hatte und auf den Wellen trieb. Dann stieg er hinein.
    Das Boot schwankte bedrohlich unter der vereinten Last des Mannes und des Bündels. Wasser schwappte über den Bootsrand. Für einen schrecklichen Augenblick befürchtete der Mann, das Gefährt könnte sinken, doch plötzlich hörte das Schwanken auf, und das Boot lag ruhig; der Schandeckel befand sich dicht über der Wasseroberfläche. Mit einem Seufzer der Erleichterung ergriff der Mann das Paddel, stellte sich vorsichtig im Heck auf und ruderte nach Süden in Richtung Stadt.
    Vor ihm breitete sich wie ein riesiges Tuch aus ölgetränkter, von silbernem Mondlicht gesprenkelter schwarzer Seide der Fluß aus. Das Rauschen des Paddels bildete einen rhythmischen Kontrapunkt zum klagenden Heulen des Windes.
    In der Nähe, am Ufer zur
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