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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Gebotslisten aufzustellen und Forderungen zu formulieren, die Europa erfüllen müsste, um in diesen Prozessen erfolgreich bestehen zu können. An solchen Texten und Vorschlägen fehlt es nicht. Die Liste der Gebote hat längst eine Unübersichtlichkeit erreicht, die ihren politischen Stellenwert fraglich erscheinen lässt. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die meisten dieser Versuche am Ende immer zu Ratschlägen führen, die entweder genauso banal und offensichtlich, aber eben auch genauso legitim sind wie jeder andere Vorschlag auch. Es gibt kein Anrecht auf Richtigkeit in den Debatten um zukünftige Ordnungen.
    Es geht mir bei den folgenden Überlegungen also nicht darum, Gebote zu formulieren, sondern Themen und Handlungsfelder auszuleuchten, in denen sich einerseits Veränderungen vollziehen, die immer stärker durch beschleunigte Komplexität gekennzeichnet sind, in denen andererseits Reaktionsbedarf besteht, um politische Gestaltung entsprechend zu ermöglichen. Es sind also weniger Gebote und Belehrungen, sondern selbstkritische Fragen, die man sich in Europa stellen muss, wenn man versucht, mit dieser Problematik umzugehen und den Willen zu zeigen, mit ihr in Zukunft anders umzugehen als in der Vergangenheit. Die nach meiner Einschätzung wichtigsten dieser Fragen sollen im Folgenden kurz beleuchtet werden.
    Zunächst geht es um gesundes Selbstvertrauen, also nicht darum, in Sack und Asche die Bühne der Weltpolitik als dauerhafter Verlierer zu verlassen, sondern in dem klaren Bewusstsein der Leistungsfähigkeit des westlichen Systemmodells aus Demokratie und Marktwirtschaft, aber auch der historischen Errungenschaften der vergangenen 60 Jahre dafür zu sorgen, dass andere dorthin aufsteigen können, wo der Westen sich schon befindet – auf einem hohen Niveau von Wohlstand und Sicherheit nach innen und nach außen.
Keine Angstdebatten führen!
    Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, auch wenn man zugeben muss, dass die üblichen Skizzen zur Zukunft Europas durchaus das Potenzial haben, solche Befürchtungen zu wecken. Beschrieben wird das etwa so: Die wirtschaftsstärksten Metropolen liegen nicht mehr in Europa, sondern in Asien. Kaufkraft und Wirtschaftsleistung zeigen dort Zuwachsraten, von denen man in Europa nur noch träumen kann. Die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise tun ein Übriges, um die Kluft zwischen Schwellenländern und dem Westen zu verringern. Es bleibt aber nicht nur bei wirtschaftlichen Veränderungen. Die Zeiten sind vorbei, in denen Schwellenländer sich mit der Rolle als »Werkbank der Welt« zufriedengaben. Heute entwickeln sie selbst hochinnovative Produkte und Dienstleistungen und treten längst auch auf westlichen Märkten als aggressive und erfolgreiche Anbieter auf. Sie investieren enorme Summen in die Ausbildung eigener Fachleute, in die Verbesserung ihrer Infrastruktur, und wann immer sie mit ihren Staatsfonds auf westlichen Märkten auftauchen, weiß man nicht, ob man sich über dringend benötigte Investitionen freuen oder den wachsenden politischen Einfluss dieser Länder fürchten soll.
    Angst geht also um im Westen – aber dafür gibt es keinen Grund. In dem Aufstieg der anderen liegen gewaltige Chancen für uns. Die Welt des 21. Jahrhunderts besteht eben nicht aus Nullsummenspielen. Erfolg wird daran gemessen, ob wir unseren eigenen Abstieg so erfolgreich hinbekommen, dass wir vom Aufstieg der anderen insgesamt profitieren können, wie es Teile unserer Wirtschaft heute schon erfolgreich tun.
    Es ist deshalb mehr als nötig, alles Erdenkliche zu tun, um aus dieser Angst geborene Feindbilder gar nicht erst entstehen zu lassen, und dafür zu sorgen, dass die Abwehrhaltungen, die sehr schnell propagiert werden, in den Schubladen von Möchtegern-Strategen bleiben. Bedrohungsanalysen ständig neuen Herausforderungen anzupassen und entsprechende politische Reaktionen zu erarbeiten, hat natürlich seinen Sinn. Auf Feindbilder zu verzichten, heißt nicht auf Sicherheitspolitik zu verzichten. Aber jenseits von sicherheitspolitischen Überlegungen sollten Systeme, die unseren demokratisch-marktwirtschaftlichen Anforderungen oder gar unserem Wertekanon nicht entsprechen, nicht automatisch zu Feindbildern gestempelt werden. Auch in der internationalen Politik gilt die Regel des deutschen Sprichwortes: Wie es in den Wald hineinschallt, schallt es auch wieder heraus. Wer Feindbilder pflegt, darf sich nicht wundern, auf Feindschaft zu stoßen, zumindest aber
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