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Endlich war wieder Weihnachten

Endlich war wieder Weihnachten

Titel: Endlich war wieder Weihnachten
Autoren: Heinz G. Konsalik
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A DVENT HEISST A NKUNFT
    Die Baustelle befand sich am Rande der Stadt, dort, wo die Wüste wieder begann, wo die neuen, in der Hitze flimmernden Straßen aus körnigem Asphalt im Sand versickerten, die künstliche Bewässerung aufhörte und das Schweigen der Unendlichkeit zwischen Himmel und Erde lag.
    Es war eine riesige Baustelle mit einem Wald von Kränen und Gerüsten, Baggern und Planierraupen, schweren Lastwagen und Gebirgen von Steinen, Zementsäcken, Brettern, Balken und Röhren. In drei Schichten, Tag und Nacht, drehten sich die großen Mischmaschinen, dröhnten Bohrhämmer und Rammen, knirschten Loren über die Gleise und rappelten die Karrenaufzüge. Es wimmelte von Menschen, die – am Tag unter glühender Sonne, in der Nacht im Licht von Hunderten von Scheinwerfern an hohen Stahlmasten schuftend – Mauer um Mauer hochzogen, Bogengänge und Säulen gossen und so einen Gebäudekomplex schufen, der einmalig auf der Welt sein sollte: Das neue, einer kleinen eigenen Stadt gleichende Einkaufszentrum von Dubai, dem Emirat am Persischen Golf, dem kleinen Staat, der auf Erdöl schwamm.
    Nicht weit von dieser Baustelle entfernt lagen die Camps. Das eine, ›Victoria I.‹ genannt, bestand aus den Steinbaracken der Bauleitung, des Konstruktionsbüros, der Küche und des ›Casinos‹, den flachen Häusern der Ingenieure und Vorarbeiter, dem Magazin, der Wäscherei und den Garagen. Camp ›Victoria II.‹, nicht vollklimatisiert wie ›Victoria I.‹, beherbergte das Heer der Arbeiter – Araber aus allen Teilen der arabischen Halbinsel, Nubier aus dem Sudan, Farbige aus Somalia, chinesische Köche und Inder, die im Camp ein paar Läden gegründet hatten und die an die vierhundert Menschen alles verkauften, was zu verkaufen war, nur keinen Alkohol. Sogar eine winzige Moschee mit einer kleinen Kuppel hatte man aus Fertigbauteilen errichtet, und wenn der Muezzin über einen Lautsprecher zum Gebet rief, knieten die Gläubigen auf den staubigen Lagerstraßen nieder und verbeugten sich tief in Richtung Mekka.
    Es war Anfang November, als Chefingenieur Rudolf Sadowski, der Leiter des ›Projektes Warenhaus‹ der Deutschen Bau-Gesellschaft DBG, den Ingenieur Heinz Blankenburg zu sich in die Chefbaracke rief. Das Büro war ein spärlich möblierter weißgetünchter Raum, in dem der breite, mit Plänen übersäte Schreibtisch, vier Korbsessel in der Ecke und ein runder, ebenfalls aus Rohr geflochtener Tisch sofort auffielen. Über der Wand hinter dem Schreibtisch hing als einziger Schmuck ein Farbfoto des Emirs von Dubai.
    Blankenburg, von einem Kontrollgang kommend, wedelte sich mit seiner langschirmigen Mütze Luft zu, als er ins Zimmer trat. Gelber Staub bedeckte sein Gesicht und den weißen Leinenanzug. Er war ein mittelgroßer, schlanker Mann mit zurückgekämmten Haaren, die jetzt von Schweiß glänzten.
    »Nur wer in der Wüste schmort, kann verstehen, daß man sich nach Kälte sehnt«, sagte er. »Früher sind wir vor dem Regen in den Süden ausgerissen … lieber Himmel, was gäbe ich dafür, würde es hier nur einmal regnen!« Er steckte die Mütze in die Hosentasche und dehnte sich in der Kühle, die aus der Klimaanlage strömte. »Du wolltest mich sprechen, Rudolf?«
    »Ja. Setz dich, Heinz.«
    »Hoppla, dann wird es erst.« Blankenburg griff sich einen der Korbsessel und sah Sadowski zu, wie dieser aus einem Kühlschrank eine große Flasche Orangensaft holte, zwei Gläser vollschüttete und sie an den runden Tisch brachte. Die Alibiflasche – Qrangensaft war wirklich drin, aber gemischt mit Wodka. Auch den Deutschen war es eigentlich verboten, im Camp Alkohol zu trinken. Wenn sie abends nach Dubai hineinfuhren und an der Bar eines der internationalen Hotels saßen, war das etwas anderes. Die Hotels waren eine Art neutrales Gebiet – die Camps aber lebten nach den Geboten Mohammeds.
    »Was ist los?«
    Sadowski setzte sich Heinz gegenüber und hob sein Glas.
    »Auf dein Wohl und darauf, daß du alles gut verdaust.«
    »Was soll ich verdauen, Rudolf?«
    »Mit deinem Urlaub wird es nichts, Heinz. Du weißt, wir haben eine Monatsquote für den Heimaturlaub, den nach den Arbeitsverträgen ja schließlich die Firma bezahlen muß. Und die Anmeldungen für Dezember hatten diese Grenze weit überschritten. Also mußten wir uns eine gerechte Beschränkung ausdenken. Und da hat die Bauleitung entschieden, daß diesmal nur Familienväter berücksichtigt werden. Das sind genau vierundzwanzig Mann, die nach Hause zur Mutti
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