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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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verloren. Sängern versagte die Stimme, Fährtensucher kamen vom Weg ab. Und auch in den Türmen von Ghan herrschte gerade das Chaos.
    Hier dagegen ging es stiller zu. Die Medasmenschen sahen sich um, erkannten einander, erinnerten sich. Das Licht der Milchstraße ließ ihre Gesichter leuchten. Wahida bahnte sich den Weg zu einer älteren Medasfrau, die sie umarmte wie eine verlorene Tochter. Und mitten unter all den Gestalten entdeckte ich zwei besondere Lichter, ein Paar, das sich in den Armen lag, als wollte es sich nie wieder loslassen. Ein Mädchen, so strahlend schön vor Glück, dass es fast wehtat, sie anzusehen – wie ein Blick in die Sonne. Und ihr dunkler Geliebter, dessen langes, glattes Haar sogar im Sternenlicht den blauschwarzen Glanz von Federn hatte. Die Sonne und der Rabe , dachte ich.
    Die Gespenster des Verwaistenhauses und auch die neue Verwalterin waren verschwunden. Vermutlich hatten sie sich zurück in ihre Kammern geflüchtet. Die Menschen, die eben noch Verrückte gewesen waren, erwachten einer nach dem anderen und setzten sich benommen auf. Tian verzog das Gesicht, als er seine verletzte Hand bewegte. Aber er vergaß seinen Schmerz, als sein Blick auf Kallas fiel. Sie löste sich eben aus Gavrans Umarmung. Ein paar Augenblicke erinnerten die drei an ein gefrorenes Bild. Und ich liebte meine Schwester Glanz – denn das war sie und würde sie für mich immer sein – dafür, dass sie sich ein Herz fasste und zu Tian hinüberging.
    Als Amad und ich schon am Ende der Treppe waren, entdeckte ich auch den Mann, der einst ein Mädchen geliebt hatte, das heute schon weißes Haar hatte. Er stützte sich mühsam auf schwachen, zitternden Armen auf und betrachtete ungläubig seinen Körper, der nicht mehr siebzehn war wie bei seinem letzten bewussten Atemzug. Es schnürte mir die Kehle zu, so leid tat er mir. Die Mégana müsste bei ihm sein , dachte ich. Nur wegen ihm ist sie doch hierhergekommen?
    *
    Ich hatte mich geirrt. Sie wäre nicht zu ihrem Geliebten gelaufen, sondern wollte sich mit den Gespenstern in Sicherheit bringen. Aber weit war sie nicht gekommen. Wir fanden die alte Frau im nächsten Raum, von dem nur noch eine Steinplattform und eine Treppe stand. Sie hatte weniger Glück gehabt als die Schlafenden. Die einstige Mégana lag auf dem Boden zwischen Trümmern eines Balkens, der sie mitten ins Genick getroffen hatte. Kein Atem hob und senkte ihre Brust. Ich konnte mir denken, was sie so sehr erschreckt hatte, dass sie nicht mehr auf die herabfallenden Dachbalken geachtet hatte: Hinter dem Körper ragten zwei Schatten auf, Henker und Totenwache in einem.
    »Lass mich zu ihr gehen«, flüsterte ich Amad zu.
    Er stellte mich auf die Beine. Mir wurde schwindelig und meine Wunde brannte wie Feuer, aber ich achtete nicht auf meine Schwäche. Ich ließ mich neben der Herrscherin nieder. Der Mégan hatte wie ein verwelktes Blatt gewirkt, aber bei ihr war der Tod gnädiger gewesen und zeigte mir einen letzten Abglanz des kämpferischen Mädchens, das sie einst gewesen war. Vorsichtig strich ich ihr das nasse weiße Haar aus der Stirn und stellte mir vor, dass es einst vielleicht so sonnenblond gewesen war wie das von Kallas. Es war dieses Mädchen, um das ich trotz allem trauerte.
    »Auch sie hat für ihre Liebe alles gewagt«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Amad. Er trat zu mir und legte mir die Hände auf die Schultern.
    »Ich weiß«, sagte er mit belegter Stimme. »Aber sie hat verloren. Weil … sie mir glaubte. Vor langer Zeit, als ich alles tat, um mein Volk zu befreien. Und es damit nur tiefer in die Sklaverei stieß.«
    Und auch dafür liebte ich ihn: Für die Trauer in seiner Stimme, die trotz allem auch dem Mädchen galt, das er einst betrogen hatte.
    »Seid ihr jetzt endlich zufrieden?«, wandte ich mich an die Wächterschatten. »Ihr habt eure Rache. Auch die andere Hälfte der Zweiheit, die euch zu Verachtung und Schande verurteilt hatte, ist tot. Jetzt geht und lasst uns leben.« Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber ich war überrascht, dass sie einfach verloschen, in einem Atemzug. Und erst jetzt merkte ich, wie groß die Last ihrer Gegenwart gewesen war. Mit ihnen wich auch ein Schatten von meiner Seele. Der Raum schien lichter zu werden – und dort, wo die Wächterschatten eben noch geflackert hatten, konnte ich nun Stufen erkennen. Ganz oben am Ende einer Treppe, die zu den Räumen der Gespenster geführt hatte und jetzt einfach mitten in der Luft aufhörte,
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