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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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schnell beendet, zu groß war die Zahl der Medasleute. Niemand büßt mit seinem Blut für die Verbrechen am Medasvolk, dafür haben Trinn und Meon gesorgt. Stunde um Stunde sah ich die beiden mit den Lichtern reden und um andere Wege ringen. Und als ich Trinn beobachtete, der so jung und gleichzeitig so alt war, verstand ich, warum er niemals älter als dreizehn sein würde: Die Erinnerung ist immer jung und lebt stets in der Gegenwart. Und offenbar ist es Trinn gelungen, sein Volk an das Gute zu erinnern, an Menschen, die keine Verräter waren. Die Lichter zerstören nur das Monument des Verrats, meine Stadt.
    Staub vernebelt seit Tagen den Himmel, ein Turm nach dem anderen fällt, und das Grollen der verhallenden Explosionen vermischt sich mit dem Klagen und Weinen der Bewohner, die noch in der Wüste ausharren und ihrer Stadt beim Sterben beistehen.
    Der Fall der Metropole hat Neugierige angelockt. Gerüchte reisen mit dem Wind, und schon kamen die ersten Reisenden und streifen seitdem durch die ehemaligen Prunkräume, brechen Goldverzierung von Trümmern und Juwelen aus zerbrochenen Waschbecken. Für mich sind sie keine Plünderer, sie holen sich zurück, was ihnen auf eine Art gestohlen wurde. Trotzdem bin ich nicht stolz darauf, den Menschen meiner Stadt alles genommen zu haben. Ich werde traurig, wenn ich an Anib und Zabina denke, und an meine Schwester, die ich zu einem Leben im Wüstensand verdammt habe. »Du hast ihr ein Leben geschenkt!«, widerspricht mir Juniper energisch. »Das Leben, so wie es ist und sein soll! Vida ist keine Gefangene ihrer Gaben mehr, sie wird wieder lachen, und irgendwann wird sie nicht irgendeinen Versprochenen küssen, sondern jemanden, der ihr wirklich gefällt und der ihr Herz zum Singen bringt.«
    Ich hoffe, sie hat recht. Und ich hoffe, auch Tian, der allein davongegangen ist, wird eines Tages wieder glücklich sein. Auch das ist eine Wunde, die wohl niemals heilen wird: mein Zweifel.
    Aber es gibt auch Neuigkeiten, die mir zeigen, dass die Dinge allmählich wieder an ihren richtigen Platz rücken: Die ersten Kreaturen haben begonnen zu sterben, die Reisenden berichten davon. Die Wandelgestalten gehen unauffällig zugrunde, als würden sie einfach verlöschen und mit der Wüste verschmelzen wie die Toten in den Märchen meiner Amme. Und auch in der Ferne, im grünen Meer, werden die Mischgestalten bald auf den Grund des Ozeans sinken und nur noch in Träumen und Schauergeschichten ihr Unwesen treiben. Es wird wieder Reichtum geben und Feste am Meeresufer.
    Schon jetzt wagen die ersten Menschen wieder zu träumen, auch wenn es für viele nicht so einfach ist, dieser Welt zu trauen. Am allerwenigsten für mich. Jede Nacht schrecke ich mehrmals hoch und weiß nicht mehr, in welcher Welt ich bin. Ich klammere mich an Amad, weil ich überzeugt bin, wieder in der Verhörkammer zu sein und zu spüren, wie seine Hand mir entgleitet und er von mir fortgerissen wird.
    Er küsst mich noch halb im Schlaf, murmelt »Ich bin bei dir, Canda Schlaflos« und hüllt mich in seine Umarmung ein. Sobald ich seine Haut an meiner fühle und seinen ruhigen Herzschlag höre, bin ich immerhin halb überzeugt, dass wir einander nicht verloren haben. Aber erst wenn die Sonne aufgeht und ich ihn aus dem Schlaf in meine Welt küsse, fühle ich mich wieder sicher.
    Auch am Tag meines Abschieds vom Land meiner Ahnen erwache ich als Erste. Amad liegt an meinen Rücken geschmiegt und atmet noch tief, schwer liegt sein Arm über meiner Taille. Meine Hündin träumt noch, ihre Pfoten zucken und malen kleine Wellen in den Wüstensand. Ich habe Bronze, Gold und ein Prunkbett gegen Wüstenwind und ein Tuchzelt getauscht, und um nichts in der Welt würde ich jemals wieder zurückgehen.
    Unsere Rucksäcke sind gepackt, in der ersten Helligkeit schimmert die zusammengerollte Haut des Eisenhais. Ich freue mich auf das Gesicht von Kosta, dem alten Muschelputzer, wenn ich ihm diese Kostbarkeit schenke. Manoas Palast wird sicher verlassen sein. Der alten Traumdeuterin werde ich wohl erst wiederbegegnen, wenn sie gefunden werden will.
    Vorsichtig schiebe ich Amads Arm zur Seite und drehe mich zu ihm um. Und wie jeden Morgen umspült mich eine kleine, warme Welle des Glücks. Wüstensand fängt sich in Amads Haar. Und obwohl er im Erwachen meinen Kuss erwidert, kann ich kaum glauben, dass dieser Mann aus einer anderen Wirklichkeit mir gehört. Vorsichtig bewege ich meine Schulter. Die Schusswunde verheilt gut, aber sie
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