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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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vorsichtig hoch. »Alles in Ordnung?«
    »Nein«, erwiderte ich mit kläglicher Stimme. »Aber ich bin nicht verletzt.«
    Kallas lächelte mir zu und strich mir die Haare aus der Stirn. »Doch, das bist du. Aber auch solche Wunden heilen«, sagte sie sanft. »Komm schon, Schwester Sturkopf, finden wir unsere Männer!« Und in diesem ganzen Chaos musste ich trotz allem lächeln.
    *
    »Diese Tür?« Wahida zückte einen Sprengsatz, den sie irgendeinem der Soldaten abgenommen hatte. »Gut, dann geht in Deckung.«
    Die Explosion sog uns den Atem aus den Lungen. Meine Ohren schmerzten, obwohl ich sie mir zugehalten hatte. Und noch bevor der Rauch sich verzogen hatte, rannten meine Gefährten voraus. Ich stolperte von Kallas gestützt die Treppe hoch, blind von der Helligkeit, die uns entgegenflutetete. Als wir über die Schwelle traten, erkannte ich, dass ein Zentrum auch dort sein kann, wo alle anderen Wege enden. »Die Glaskammern«, sagte ich zu Kallas. »Hier wurden im großen Chaos die Kerker geschaffen und hier vergeben die Méganes die Lichter der betäubten Menschen an Fremde. Und das nennen sie Traumkrankheit.«
    Der Goldsaum meines Mantelkleides schleifte über Glas. Heute war es, als würde ich über einen vereisten See laufen, in dem Ertrunkene immer noch vom Leben träumten. Schlafende, gequälte Gesichter glitten unter mir hinweg. Auch Maram lag dort, meine Großtante, die ich in meiner Zelle überwältigt hatte. Mir schnürte es die Kehle zu, so hilflos sah die ehemalige Gefängnisverwalterin aus. Für meine Flucht hat sie bitter gebüßt . Ich hatte sie damals nicht gemocht, aber jetzt konnte ich verstehen, in welchem Albtraum sie gelebt hatte: Als Vereinzelte Freiwild für die Verkäufer, das nur so lange oben im Haus sein Dasein fristen durfte, wie seine Familie für seine Gaben bezahlte. Und nun war ihr das passiert, was sie bestimmt am meisten gefürchtet hatte.
    Als ich das Mädchen unter Glas erreichte, blieb ich stehen. Unverändert wehrte sie sich gegen die Ohnmacht, die sie in ihren Albträumen festhielt. Neben ihr lagen alte Menschen, nur die Sterne mochten wissen, wie lange sie dort schon alterten, ohne sich dessen bewusst zu sein. Wie Maram waren sie sicher Vereinzelte, die nicht das Glück gehabt hatten, dass ihre Familien ihnen ein Leben erkaufen konnten. Gestohlene Leben. Und ihre Lichter sind irgendwo in der Welt, bei Menschen, die dafür kämpfen, Ghans Macht auszudehnen. »Gavran!« Kallas ließ mich los und fiel auf die Knie. Ich konnte es ihr nicht verübeln, dass sie nicht Tians Namen nannte. Ich sank neben ihr auf das Glas. Tian lag ausgestreckt unter mir, reglos wie ein Gefallener. Aber er hatte sich gewehrt, Spuren davon zeichneten seinen Körper, Schrammen, Fesselstriemen. Sein rechter Arm lag locker über seinem Kopf. Eine runde Brandwunde prangte auf der rechten Handfläche, dort, wo die blaue Farbe gewesen war. Es tat weh, die Verletzung zu sehen. Sie hatten ihm den Schlüssel zu den blauen Wegen aus der Haut gebrannt: die blaue Morenofarbe, vermischt mit seinem Blut.
    Mein Atem beschlug auf dem Glas und durch den Schleier sah ich für einige Sekunden nur ihn – und mich. Jemand trat an mich heran und berührte meine Schulter, Trinn. Und ich sah, wie Tian in meiner Brautnacht einen versteckten Gang zu unserem Turm fand, geführt von seiner stärksten Gabe: Gavran, dem Eroberer. Wie er zu uns schlafenden Mädchen ans Prunkbett trat, sich über mich beugte und Kallas aufforderte, ihm zu folgen. Wie er Tians Hand mit dem Morenoblau durch Kerkerhaut ausstreckte und wie Kallas seine Hand ergriff.
    Ein heiserer Schrei ließ mich aufblicken. Der Rauch war fast ganz verweht, nur der Gestank nach verbrannter Zündladung stach noch in der Nase. Es war wie eine weitere Erinnerung aus längst vergangener Zeit: Die schwarz gekleideten Gespenster standen am Eingang, eine neue Gefängnisverwalterin, die sich nicht zu rühren wagte, weil Wahida sie und die anderen mit dem Gewehr in Schach hielt. Und neben ihr – die Mégana.
    Ich war froh, dass es der sachliche, kühle Meon war, der einen Arm um ihre Kehle gelegt hatte und sie gefangen hielt. Kallas wäre weit weniger sanft mit der alten Herrscherin umgesprungen. Sie hob eine zitternde Hand. »Tu es nicht, Canda! Geh zurück!« Eine alte Narbe, weiß geworden wie ein ausgeblichener Fleck auf altem Papier, zeichnete sich auf ihrer Handfläche ab. Eine Brandnarbe.
    In einem Herzschlag fanden sich Erinnerungen zu einem Bild: Die Mégana, die von
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