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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne
Autoren: Nina Blazon
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nichts mehr wert, meine Gaben sind nämlich frei.«
    Es tat weh, dass sie mich ansah wie etwas, das schön und kostbar gewesen war und nun schrecklich verunstaltet vor ihr stand: eine blasse, farblose Gewöhnliche, die einst ihre Tochter gewesen war. Jetzt war sie es, die Tränen in den Augen hatte. »Meine Kleine«, flüsterte sie mit erstickter Stimme. »Was haben sie dir angetan! Bitte gib auf, verlass diese Ungeheuer! Es ist deine letzte Chance! Ich sorge dafür, dass du fliehen kannst. Nicht einmal dein Vater weiß, dass ich hier bin …«
    »Er ist nicht hergekommen, weil er mich längst verstoßen hat«, erwiderte ich.
    Gehetzt blickte sie sich um. »Sie werden gleich hier sein. Aber ich kenne einen Weg, also gib mir die Hand und komm mit! Schnell!«
    Juniper warf mir einen warnenden Seitenblick zu. Glaub ihr nicht , sagte er.
    Es war verrückt. Dort stand meine Mutter, die ich trotz allem noch liebte und der ich mein ganzes Leben lang hatte gefallen wollen. Mit der ich gekämpft und gestritten hatte und der ich trotz allem so ähnlich war. Ich wollte ihr glauben, dass sie wirklich vorhatte, mich zu retten, dass sie alles daran setzen würde, mich vor dem Schlimmsten zu bewahren. Und vielleicht stimmte das sogar zum Teil. Aber gleichzeitig sah ich in ihr Tana Blauhand, die Verräterin, die Frau, die Sterne stahl. Zu gut kannte ich die Höchste Richterin.
    »Wann hätte ich es erfahren, Mutter? All das?«
    »Ein Jahr vor deiner Ernennung zur Mégana.« Selbst jetzt schwang in ihrem Tonfall noch die Trauer um erloschene Träume mit. »Trau diesen Ungeheuern nicht, Tochter. Sie sind keine Menschen! Sie sind … Truggestalten, Geister, Dämonen! Und selbst wenn du gewinnst: Denkst du wirklich, du wirst zu den Siegern gehören? Du bist ihre Marionette, nichts weiter. Was glaubst du, was Sieger mit Besiegten machen? Bildest du dir wirklich ein, du wirst leben, oder Vida – oder irgendjemand von uns, wenn du dich weiterhin auf ihre Seite stellst? Nein! Diese Bestien werden uns alle töten, auch dich.«
    Sie warf Kallas einen Blick zu, so voller Hass, dass mir kalt wurde. Und das Medasmädchen, das noch vor wenigen Tagen bereit gewesen war, mich und Tian zu opfern, wurde blass und biss die Zähne zusammen. Ihre Schultern sanken herab, als würde alle Kraft aus ihren Armen weichen. Dann entsicherte sie die Waffe und stellte das Gewehr neben sich ab. Sie sah mich an. Es war ein Versprechen. Und diesmal hörte ich nur auf eine Stimme: mein eigenes Herz. Manchmal gibt es nur eine Antwort , dachte ich. Wie ein Schnitt mit einem Messer. Und die Klinge kann nur einen Namen tragen: Ja – oder …
    »Nein«, sagte ich zu meiner Mutter. Ich schüttelte den Kopf und wich zur Treppe zurück. »Du irrst dich. In jeder Hinsicht. Aber ich ermögliche dir die Flucht. Verlass die Stadt und lauf, so weit du kannst!«
    Es war wie ein weiterer Tod, der letzte Schritt, der mich endgültig von dem trennte, was ich gewesen war. Und wie endgültig er war, zeigte mir die Reaktion meiner Mutter. »Glaubst du, du bist besser als wir?«, erwiderte sie mit kalter Würde. »Selbst wenn es so wäre, wie du dir einredest, was wäre das Ergebnis? Du wärest wie wir, eine Siegerin, die Leid über ein Volk bringt, das sie verraten hat – über Vida und über uns, deine Familie! Und über alle Bewohner Ghans. Und das lasse ich nicht zu!«
    Sie nickte jemandem zu, der irgendwo verborgen war, als würde sie ihm die letzte Erlaubnis geben, und schloss die Augen. Kallas war schlauer als ich. Als der erste Schuss fiel, hatte sie sich längst mit einem Satz hinter einen Vorsprung in Sicherheit gebracht. Mich riss Juniper von den Beinen. Funken stoben, als Querschläger durch die Gänge pfiffen. Beißender Rauch zischte und vernebelte den Raum. Die Graue bremste mit kratzenden Krallen vor mir. Splitter von Holz und Stein flogen uns um die Ohren.
    »Das war letzte Zehntelsekunde«, sagte Wahida atemlos direkt neben mir. »Zwei Bewaffnete im Hinterhalt. Den Rest haben wir in den Gängen erledigt.« Meon zielte auf meine Mutter. »Lass sie gehen, Meon«, befahl Kallas. Meine Mutter sah mich nicht mehr an, sie wandte sich ab und ging davon, aufrecht, mit genau bemessenen Schritten. Und ein Teil von mir bewunderte sie immer noch – dafür, dass sie keine Angst und keinen Kummer zeigte.
    Juniper hustete neben mir und richtete sich wieder auf. »Wer eine solche Familie hat, braucht keine Feinde mehr«, murmelte sie.
    Kallas kniete sich neben mich und zog mich
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