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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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oder drangsalierte. – Was würde er denn gerne machen wollen?
    »Bei dir wohnen«, sagte er.
    Der Boden unter ihren Füßen erbebte, ihre Welt brach zusammen. Später hielt sie dies für den schlimmsten Moment ihres Lebens. Sie hatte damals einen Freund, der samstags und sonntags nachts bei ihr schlief und gelegentlich auch unter der Woche. Wenn er nicht da war, brauchte sie ihre Ruhe, ihren ganz speziellen Samstagvormittag. Leider hatte sie einen schwachen Punkt: Sie konnte nicht sagen, was sie sagen musste.
    »Will, diese Wohnung ist für zwei Leute zu klein. Du weißt doch, es gibt nur ein Schlafzimmer. Wie wär’s, wenn du allein wohnen würdest und wir uns öfter träfen? Wenn du oft herüberkommen und wir ausgehen würden?«
    Er lächelte nett wie immer. »Hab nichts dagegen.«
    Die für den Kurs verantwortliche städtische Behörde besorgte ihm einen Job als ungelernter Hilfsarbeiter bei Keith Beatty. Nach einer Weile hatte er sich Grundkenntnisse angeeignet. Becky war es, die für ihn die Wohnung über den »Star Antiquitäten« fand. Sie lag günstig für seinen Job in Lisson Grove und nicht so weit weg von ihr und hatte für ihn genau die richtige Größe: ein Ein-Zimmer-Appartement mit Küche und Dusche. Außerdem waren die übrigen Hausbewohner nett: Inez und ein ungemein fröhlicher Typ aus der Karibik namens Freddy und ein weiterer angenehmer Mann im obersten Stock. Nur Ludmilla hatte sie nie getroffen. Anfangs befürchtete Becky, Will würde nicht wissen, wie man eine Wohnung sauber hielt. Sie machte sich schon darauf gefasst, für ihn das leidige Putzen zu übernehmen, aber diesbezüglich überraschte er sie. Er hielt nicht nur sein Appartement makellos sauber, sondern er erweiterte die von Inez zur Verfügung gestellte Grundausstattung um jede Menge hübscher Sachen. Einige hatte ihm vermutlich Inez geschenkt: eine grüne Glasvase, eine Porzellankatze, eine Lampe mit einem chinesischen Abakus als Fuß. Andere hatte Becky besorgt, doch ein paar Stücke kaufte er selbst: die rosa-grauen Kissen, die weißen Tassen und Teller mit den bunten Tupfen. Und er musste unbedingt ein Telefon haben. Ohne dass Will telefonisch erreichbar wäre, hätte Becky keine ruhige Minute mehr gehabt, obwohl sie bezweifelte, dass er richtig zu telefonieren verstand.
    Zoobesuche liebte er, also ging sie mit ihm dorthin. Sie fuhren mit dem Schleppkahn nach Camden Lock und weiter auf dem Fluss bis zur Themse-Sperre. Ein, zwei Mal gingen sie ins Kino, aber diese Besuche verunsicherten sie, weil er alles, was er auf der Leinwand sah, für echt hielt. Sex verwirrte ihn, während ihn Gewalt zu Tode erschreckte. Wimmernd klammerte er sich an sie, bis sie mit ihm das Kino verlassen musste. Die Geschichte von Harry Potter hatte auf sie eindeutig harmlos gewirkt, er hingegen war davon so tief bewegt, dass er ihr beim nächsten Treffen gestand, er sei auf dem Bahnhof King’s Cross gewesen und habe nach Gleis 9¾ gesucht. Warum es das nicht gab, könne er einfach nicht verstehen. Meistens lud sie ihn in die Gloucester Avenue ein. Allerdings redete sie sich ein, dies geschehe nicht oft genug. Eigentlich sollte sie das mindestens einmal pro Woche tun, besser noch öfter. Was er wohl machte, wenn er in der Star Street allein war? Sie hatte ihm einen Fernseher gekauft, angesichts seiner Reaktion im Kino allerdings voller Zweifel und banger Vorahnungen. Er jedoch liebte dieses Gerät. Sie hatte keine Ahnung, wie er mit Gewalt und Sex im Fernsehen fertig wurde, fürchtete sich aber davor, ihn zu fragen. Jede Lektüre jenseits der einfachsten Kinderbücher überstieg seinen Horizont, Musik interessierte ihn keinen Deut. Vermutlich putzte er die Wohnung und ordnete seine Accessoires neu. Und dann gab es immer noch ab und zu das große Ereignis, wenn ihn der Jugendsozialarbeiter auf ein Bier in den Pub mitnahm.
    Während sie ein neues Video in ihren Recorder schob, fiel ihr das wirklich einzig Wünschenswerte ein: Wenn er eine Freundin fände! Ein nettes, vernünftiges und möglichst ein bisschen altmodisches Mädchen, das ihn bemuttern und umsorgen würde. Eine Partnerschaftsvermittlung? Für Menschen wie Will das Schlimmste auf der Welt. Vielleicht würde Inez jemanden kennen. Becky entschloss sich zu einem baldigen Gespräch mit Inez. Bevor sie das Video startete, wählte sie Wills Nummer. Als er sich wie immer mit einem ängstlich-fragenden »Hallo?« meldete, lud sie ihn für den nächsten Tag zum Mittag- und zum Abendessen ein.
    Voller
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