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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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es gewesen, wenn auch die Luft frisch gewesen wäre, statt nach Diesel, Abgasen, grünem Curry und den Hinterlassenschaften von Männern zu stinken, die sich zu nächtlicher Stunde an den Plakatwänden erleichtert hatten. Aber so war es eben, das moderne Leben. Sie wünschte Mr. Khoury, der gerade – vielleicht etwas zu optimistisch – die Markise des Juweliergeschäfts nebenan hervordrehte, einen guten Morgen.
    »Guten Morgen, gnädige Frau.« Wie immer klang er düster und verdrossen.
    »Ich hätte da einen Ohrring, bei dem fehlt der – wie heißt das? – der Stecker«, sagte sie. »Könnten Sie den reparieren, wenn ich ihn später vorbeibringe?«
    »Wollen mal sehen.« Das sagte er immer. Als würde er einem einen Gefallen erweisen. Dabei reparierte er die Dinge immer. Zeinab kam atemlos die Star Street heruntergelaufen. »Hi, Mr. Khoury. Hi, Inez. Tschuldigung, bin spät dran. Sie wissen doch, ich habe kein Zeitgefühl.«
    Inez seufzte. »Jedenfalls erzählst du mir das immer.«
    Ehrlicherweise – und ehrlich war Inez meistens – musste sie sich eingestehen, dass Zeinab ihren Job nur aus einem einzigen Grund behielt: Ihre Mitarbeiterin war eine bessere Verkäuferin als sie selbst. Wie hatte Jeremy einmal gesagt? Zeinab könnte einem Tierschützer einen Elefantentöter verkaufen. Selbstverständlich hatte sie das teilweise ihrem Aussehen zu verdanken. Zeinabs Schönheit war der Grund, warum so viele Männer hereinkamen. Inez machte sich nichts vor; sie besaß genügend Selbstbewusstsein, aber ihr war klar, dass sie schon bessere Tage gesehen hatte. Mit fünfundfünfzig war sie zwangsläufig keine Konkurrenz mehr, auch wenn sie früher einmal genauso gut ausgesehen hatte wie Zeinab. Welten lagen zwischen ihr und der Frau, die sie gewesen war, als Martin sie vor zwanzig Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Heute würde kein Kerl von der anderen Straßenseite herüberkommen, um ihr ein Keramikei oder einen viktorianischen Kerzenständer abzukaufen.
    Zeinab glich dem weiblichen Star aus einem jener Bollywood-Filme. Ihre schwarzen Haare reichten nicht nur bis zur Taille, sondern sogar noch bis auf ihre schlanken Oberschenkel. Mit dieser Haarpracht hätte sie splitterfasernackt auf einem Pferd die Star Street entlang reiten können und wäre dabei doch nach allen Regeln des Anstands gekleidet gewesen. Ihr Gesicht sah aus, als hätte man die besten Details aus einem halben Dutzend moderner Filmstargesichter genommen und zu einem einzigen verschmolzen. Wenn sie lächelte, wurde jedes Männerherz schwach und sämtliche Männerknie wurden weich. Ihre Hände glichen den zarten Blütenkelchen eines Tropenbaumes und ihr Teint einem Lilienblatt, das die Abendsonne streift. Immer trug sie superkurze Röcke und ultrahohe High-Heels, dazu im Sommer strahlend weiße T-Shirts und ebenso weiße flauschige Pullover im Winter. In einem ihrer perfekten Nasenflügel prangte ein einzelner Diamant oder sonst ein Glitzerstein.
    Ihre Stimme war weniger attraktiv. Merkwürdigerweise hatte ihr Akzent nichts vom liebenswert-musikalischen Tonfall der Oberschicht aus Karatschi an sich, sondern erinnerte mehr an Eliza Doolittles Cockney aus Lisson Grove. Und das, obwohl ihre Eltern in Hampstead wohnten und sie, laut eigener Aussage, praktisch eine Prinzessin war. Heute trug sie einen schwarzen Lederrock, eine blickdichte schwarze Strumpfhose und einen Pulli, der an das Fell eines Angorakaninchens erinnerte: schneeweiß und flauschig wie Schwanendaunen. Mit ihrer Teetasse in der einen Hand schwebte sie anmutig durch den Laden, in der anderen hielt sie einen regenbogenfarbenen Staubwedel, mit dem sie Silbermenagen, uralte Musikinstrumente, Zigarettenetuis, Broschen mit Obstmotiven aus den dreißiger Jahren, Clarice-Cliffe-Teller und das Buddelschiff, einen Viermastschoner, von Staubflocken befreite. Die Kunden ahnten ja gar nicht, was es hieß, ein solches Geschäft sauber zu halten. Unter einer Staubschicht wirkte es im Handumdrehen so schäbig, als würden sich nur selten Besucher hereinverirren. Vor dem Jaguar blieb sie stehen. »Wo kommt denn das her?«
    »Den hat mir ein Kunde geschenkt. Nachdem du gestern gegangen warst.«
    »Geschenkt?«
    »Vermutlich wusste er, dass das arme Ding nichts wert ist.«
    »Man hat schon wieder ein Mädchen ermordet«, sagte Zeinab. »Drunten in Boston.« Jeder Außenstehende hätte glauben mögen, damit habe sie Boston in Massachusetts gemeint oder wenigstens Boston in Lincs, doch in Wahrheit sprach sie
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