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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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näheren familiären Umgebung verlauten.
    »›Carolines Schlüssel hingen an einem goldenen Schlüsselring, zusammen mit einem Anhänger in Form eines Scotchterriers‹, sagte ihr Stiefvater, Mr. Colin Ponti, 47. ›Ein Freund hatte ihn ihr zu Weihnachten geschenkt. Ohne den ist sie nie weggegangen‹.
    Noreen Ponti, Carolines Mutter, war für ein Gespräch mit den Medien zu verzweifelt …«
    Kopfschüttelnd faltete Becky die Zeitung zusammen und widmete sich ihren Einkäufen. Handelte es sich um Musik, legte sie sie auf und kuschelte sich in ihren Sessel. Das Täschchen mit den Gratisproben musste geöffnet und jedes Tütchen beziehungsweise Fläschchen genau untersucht werden. Heute hatte sie eine CD erstanden. Sie legte sie in ihren Walkman, lehnte den Kopf auf ein Kissen und schloss die Augen. Den heutigen Abend würde sie mit Fernsehen verbringen oder die Videokassette ansehen, die sie ebenfalls während ihres Bummels gekauft hatte.
    Alles in allem handelte es sich um ein ausgedehntes genussreiches Vergnügen, um unschuldigen oberflächlichen Luxus. Leider war er nicht ungetrübt. Wie hieß der Satz, den sie in der Oxford Street aufgeschnappt hatte? In jedem Kebab steckt ein Knorpel. Der Knorpel in ihrem Kebab waren überwältigende Schuldgefühle, die sich samstags überdeutlich bemerkbar machten, besonders an diesem Samstag. Sie hatte Will seit einer Woche nicht gesehen, und anstatt die South Molton Street hinunterzuschlendern, hätte sie ihn eigentlich anrufen und zum Mittagessen einladen sollen, zum Mittag-, nicht zum Abendessen. Damals im Kinderheim hatte es die Hauptmahlzeit immer mittags gegeben. Daran hatte er sich gewöhnt, und genau so war es ihm am liebsten.
    Während Becky die Nachtcreme und die hautstraffende Körperlotion ausgesucht hatte, die sie zu der kostenlosen Dreingabe berechtigten, war es ihr gelungen, die Gedanken an ihren Neffen aus dem Kopf zu verbannen. Auch während ihres Mittagessens bei »Selfridges« hatte sie sich diese vom Leib gehalten, aber nun war sie daheim, und die CD war abgespielt. Jetzt kamen sie auf den dunklen Schwingen der Schuld zurückgeflogen. Will war ganz allein gewesen. Obwohl er wie ein etwas schwerfälligerer und kräftigerer David Beckham aussah, hatte er ein zu schlichtes und naives Gemüt, um Freunde zu finden. Um allein ins Kino oder zu einer Sportveranstaltung zu gehen, war er zu schüchtern. Mit viel Glück würde ihn der Mann, den er seinen Freund nannte – er war einer von den Sozialarbeitern im Heim gewesen –, heute Abend auf einen Drink hinüber ins Monkey Puzzle mitnehmen, aber auch das geschah nicht jeden Samstag, nicht einmal jeden zweiten. Doch egal, ob sich ein Fremder um ihn kümmerte oder nicht, letztlich trug nichts dazu bei, ihr inneres Gefühl zu vertreiben, sie habe bei Will versagt, und das seit zwanzig Jahren. Bei dem Gedanken, wie sie ihren Tag verbracht und wie sehr sie ihn genossen hatte, überfiel sie Ekel vor sich selbst. Ihr wurde ziemlich schlecht.
    Beckys Schwester Anne war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Der Wagen hatte einem Mann gehört, der sie nach Cambridge gefahren hatte, zu einem Treffen mit seinen Eltern. Seit Wills Geburt war er der erste Mann gewesen, mit dem Anne ausgegangen war, wenn auch nicht gerade häufig. Seit Monaten war es das erste Mal gewesen. Auf der M11 war ein Laster frontal mit dem Wagen zusammengestoßen. Der Fahrer war am Steuer eingeschlafen und hatte mit dem LKW die Leitplanken auf dem Mittelstreifen durchbrochen. Er und Anne waren gestorben, während der Mann, den sie beinahe hatte heiraten wollen, beide Beine verlor.
    Zwei Polizisten waren in Annes Wohnung erschienen, um Becky über den Unfall zu informieren. Sie hatte auf den dreijährigen Will aufgepasst. Selbstverständlich war sie bei ihm geblieben und hatte sich vierzehn Tage freigenommen. Sie hatte Anne sehr nahe gestanden und war mit Will fast so vertraut wie seine eigene Mutter. Wie hatte sie immer gesagt? Sie genieße alle Annehmlichkeiten einer Mutterschaft ohne die dazugehörige Verantwortung. In den Tagen nach Annes Tod kam ihr diese Bemerkung wieder in den Sinn. Würde man von ihr erwarten, Annes Rolle einzunehmen, bei Will zu bleiben und für ihn Mutter zu sein? Würde man erwarten, dass sie ihn adoptierte 7 .
    Jetzt fiel ihr wieder ein, wie oft sie Anne erklärt hatte, sie liebe ihn wie ihren eigenen Sohn. War das wahr? Damals arbeitete sie für ein Reisebüro und bildete sich im Abendstudium zur Betriebswirtin aus.
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