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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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1
    Der Jaguar stand in einer Ladenecke zwischen der Statue einer unbedeutenden griechischen Gottheit und einem Blumenständer. Dass die meisten Leute beim Wort »Jaguar« automatisch an ein Auto dachten und nicht an ein Tier, sprach nach Inez’ Ansicht wahre Bände über unsere heutige Welt. Einst hatte der schwarze Bursche, der ungefähr so groß war wie ein riesiger Hund, im Dschungel gehaust, wo ihn der Großvater eines unbekannten Kunden, ein Großwildjäger, geschossen hatte und ausstopfen ließ. Besagter Unbekannte hatte ihn gestern in den Laden gebracht und Inez angeboten. Zuerst für zehn Pfund, schließlich umsonst. Dieses Ding im Haus zu haben, sei peinlich, hatte er gemeint, schlimmer noch, als sich in einem Pelzmantel sehen zu lassen.
    Inez nahm ihn nur, um den Typen loszuwerden. Sie hatte sich eingebildet, der Jaguar habe sie aus gelben Glasaugen vorwurfsvoll angesehen. Sentimentaler Blödsinn, schalt sie sich insgeheim. Wer sollte so etwas kaufen? Vielleicht würde das Ding am nächsten Morgen um Viertel vor neun attraktiver aussehen, hatte sie gedacht, aber es hatte sich nicht verändert. Sein Pelz fühlte sich struppig an, es wirkte steif und schaute bedrohlich. Sie drehte ihm den Rücken zu und setzte in der kleinen Küche hinter dem Laden den Wasserkessel für den Tee auf, den sie immer für sich kochte und in der letzten Zeit stets gemeinsam mit Jeremy Quick aus dem Dachgeschoss trank.
    Pünktlich wie immer klopfte er an die hintere Tür und kam herein, während sie das Tablett in den Laden zurücktrug. »Inez, wie geht es Ihnen heute?«
    Er – und nur er – sprach ihren Namen so aus, wie man es in Spanien tat: Iiineth. Außerdem hatte er ihr erzählt, warum der Name in Spanien, anders als in Südamerika, so ausgesprochen wurde: Einer der spanischen Könige habe gelispelt, und das habe man aus Hochachtung vor ihm nachgeahmt. Obwohl dies für sie nach reiner Erfindung klang, war sie zu höflich, um es laut zu sagen. Sie reichte ihm seine Teetasse mit einer Süßstofftablette auf dem Löffel. Er spazierte immer mit seiner Tasse herum.
    »Um Himmels willen, was ist denn das?«
    Sie hatte seine Frage kommen sehen. »Ein Jaguar.«
    »Wird den einer kaufen?«
    »Vermutlich wird es ihm so gehen wie dem grauen Lehnstuhl und der Chelsea-Porzellanuhr. Sie werden mir bis ans Ende meiner Tage bleiben.«
    Er tätschelte den Tierschädel. »Zeinab noch nicht da?«
    »Ach, woher! Sie behauptet, sie hätte kein Zeitgefühl. Wenn das so ist, habe ich gesagt, wenn du schon kein Zeitgefühl hast, warum kommst du dann nie zu früh?«
    Er lachte. Er ist ziemlich attraktiv, dachte Inez nicht zum ersten Mal. Selbstverständlich war er für sie viel zu jung, oder nicht? Heutzutage vielleicht nicht mehr, da sich die Ansichten über solche Dinge allmählich änderten. Er schien höchstens sieben oder acht Jahre jünger als sie zu sein. »Ich mache mich dann besser auf den Weg. Manchmal denke ich, dass ich überpünktlich bin.« Vorsichtig stellte er seine Tasse samt Untertasse wieder aufs Tablett. »Offensichtlich hat es einen weiteren Mord gegeben.«
    »Oh, nein.«
    »Es kam in den Acht-Uhr-Nachrichten. Und gar nicht weit von hier. Ich muss los.«
    Er erwartete nicht, dass sie die Ladentür aufsperrte, um ihn hinauszulassen, sondern nahm denselben Weg, den er gekommen war, und betrat die Star Street durch den Mietereingang. Inez hatte keine Ahnung, wo er arbeitete, vermutlich irgendwo am nördlichen Stadtrand. Wahrscheinlich hatte seine Tätigkeit irgendetwas mit Computern zu tun, wie bei so vielen Leuten heutzutage. Er hatte eine Mutter, an der er hing, und eine Freundin, doch über seine Gefühle zu ihr ließ er nie ein Wort fallen. Nur ein einziges Mal hatte er Inez in seine Dachwohnung eingeladen, wo sie die minimalistische Einrichtung und seinen Dachgarten bewundert hatte.
    Um neun Uhr öffnete sie die Tür und trug den Bücherständer auf den Gehsteig hinaus. Hier hinein kamen nur uralte Taschenbücher von längst vergessenen Autoren, aber ab und zu verkaufte sich doch eines für 50 Pence. Am Randstein hatte jemand einen total verdreckten weißen Van geparkt. Inez entzifferte einen Zettel, der an der Heckscheibe angebracht war: Nicht waschen. Fahrzeug nimmt an einer wissenschaftlichen Schmutzanalyse teil. Sie musste lachen.
    Schönes Wetter kündigte sich an. Hinter der niedrigen Reihenhauszeile mit den hohen dreistöckigen Geschäftshäusern am Eck ging eben die Sonne am zartblauen Himmel auf. Noch schöner wäre
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