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Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Titel: Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)
Autoren: Kester Schlenz , Joja Wendt
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[zur Inhaltsübersicht]
    Prolog
    A m Anfang der Zeit beherrschten die Götter das Universum. Noch heute hören wir die Geschichten über sie – etwa von Apollon, dem Gott der Musik, und seinem Bruder Hermes, dem geflügelten Boten der überirdischen Herrscher.

    Eines Tages erschuf Hermes ein kunstreiches Saiteninstrument aus einem Schildkrötenpanzer und Tierhaaren.
    Äußerlich klein und unscheinbar, wohnten ihm dennoch magissche Kräfte inne.
    Das war die Geburtsstunde der Lyra – des ältesten und mächtigsten Instruments der Welt. Nach einem Streit schenkte Hermes Apollon seine Lyra als Geste der Versöhnung. Begeistert gab der sie an seinen Sohn Orpheus weiter, einen begabten Sänger. Und begleitet von der Lyra wurde seine Musik nun überirdisch schön.
    Orpheus’ Spiel und sein Gesang bezauberten alle, sogar Hades, den Herrscher über das Totenreich. Denn dorthin war Orpheus mit seiner Lyra hinabgestiegen, um seine verstorbene Geliebte Eurydike zurück zu den Lebenden zu holen. Hades, betört von der Macht der Musik, gab seine Erlaubnis. Seine einzige Bedingung: Auf dem Weg hinaus aus dem Totenreich dürfe Orpheus sich nicht ein einziges Mal nach seiner Geliebten umsehen, die ihm als Geist folgen würde. Doch auf dem langen Weg zurück in die Welt, wie wir sie kennen, kamen Orpheus Zweifel. Folgte seine Geliebte ihm wirklich? Keinen Laut hatte er seit Stunden gehört. Und kurz bevor er die Grenze zum Reich der Lebenden erreicht hatte, hielt er die Zweifel nicht mehr aus und sah hinter sich. Und da erblickte er seine Eurydike. Als schwebenden Geist, der ihn entsetzt ansah. Denn von mächtigem Donner begleitet, verschwand Eurydike im gleichen Moment, von nun an auf immer festgehalten in der Welt der Toten. Verzweifelt und verwirrt schaffte Orpheus allein den Weg zurück. Aber die Lyra, jenes mächtigste aller Instrumente, hatte er – betäubt von seinem Leid – ebenfalls in Hades’ düsterem Reich zurückgelassen. Und bis heute hat sie niemand je wieder gesehen. Es heißt, sie sei auf mysteriöse Weise verschwunden.
    Doch zu Ehren der Lyra entwarfen die Götter eine Sternenkonstellation nach ihrem Ebenbild.
    Dort am Firmament prangt sie bis zum heutigen Tage und leuchtet bis in alle Ewigkeit, auf dass wir Menschen uns bewusst sind, dass wir fähig sind, die Leere des Weltalls mit Geist und Musik zu füllen.

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    Nelly
    D iese Stimme. Diese fiese, schneidende Stimme. «Sitz gerade», faucht diese Stimme. «Die Finger rund beim Spielen, Kind. Nicht so tatschen. Ein Klavier ist keine Bongotrommel.» Nelly schüttelt sich. Aber nur innerlich. Richtig schütteln? Und dabei «brrr» sagen? Besser nicht. Frau Billerbeck wäre sofort stinksauer. «Du alte Hexe», denkt Nelly und kichert. Nur innerlich, versteht sich. Tatsächlich sitzt sie schweigend – und so gerade wie möglich – am Klavier und macht die Finger rund.
    Frau Billerbeck ist Nellys Klavierlehrerin. Sie wohnt im Nachbarort, und einmal in der Woche fährt Nelly zu ihr nach Hause. Frau Billerbeck ist eine hagere, hochgewachsene Frau von etwa 60 Jahren mit strengen Gesichtszügen. Das widerspenstige graue Haar hat sie stets zu einem Dutt gebunden. Nelly findet, dass sie aussieht wie die Frauen in ihren Geschichtsbüchern aus der Schule. Irgendwie aus der Zeit gefallen. Eine sonderbare Frau. Auch ihre Wohnung ist sonderbar. Schwere Gardinen lassen kaum Licht hinein, die Möbel sind alt, und es riecht muffig. Immer wenn Frau Billerbeck Nelly etwas auf dem Klavier vorspielt, nimmt sie in einer unnatürlich steifen Haltung auf dem Hocker Platz und lässt ihre langen, sehnigen Finger behände über das Klavier huschen. Ja, Klavier spielen, das kann sie, die Billerbeck, denkt Nelly. Aber sonst? «Nicht so mit dem Pedal schmieren», faucht sie Nelly gerade wieder in den Rücken. Ihr Atem riecht dabei nach dem Fencheltee, den Frau Billerbeck beim Unterrichten immer trinkt. «Den brauche ich aus gesundheitlichen Gründen», hat sie einmal gesagt. Nelly hat mal nachgelesen, wogegen Fencheltee hilft. Gegen «Blähungen und andere Störungen des Verdauungsapparates»! Das passt, denkt Nelly. Im Körper von Frau Billerbeck ist also der Teufel los. Da kneift und drückt es. Da will was raus und kann nicht. Nelly muss nun wirklich fast kichern, aber sie reißt sich zusammen. «Konzentrier dich, Kind!», zischt die Billerbeck von hinten, als ob sie Gedanken lesen könnte.
    Nelly ist vierzehn Jahre alt und neugierig im wahrsten Sinne des
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