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Der Duft des Bösen

Der Duft des Bösen

Titel: Der Duft des Bösen
Autoren: Ruth Rendell
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das Problem. Sie blätterte weiter. Ein Tory-Skandal; ein Promi-Arzt war in einen Sado-Maso-Ring verwickelt; das Hochzeitsfoto eines älteren Politikers, der seinerseits eine ältere Politikerin geehelicht hatte.
    Den ersten Stock des Hauses hatte Inez für sich behalten. Sie hatte ein großes Wohnzimmer, eine geräumige Küche, zwei Schlafzimmer und ein Bad. Mit dem Geld aus Martins Erbe hatte sie alle drei Stockwerke über dem Laden, die sie gemeinsam mit Martin bewohnt hatte, in einzelne Wohnungen umwandeln lassen. Alles war neu verkabelt worden, hatte neue Armaturen und Teppichböden. Nicht, dass sie eine Menschenfreundin gewesen wäre – ihr war klar, dass sie so deutlich mehr Miete bekäme. Wie Scarlett O’Hara hatte sie schon vor langer Zeit beschlossen, nie wieder arm zu sein. Im Stockwerk über ihr lagen zwei Studios, eigentlich jeweils nur ein Zimmer mit Bad und Küche. Das hintere bewohnte Will, das vordere Ludmilla Gogol, wobei Ludmillas Appartement mehr als die Hälfte der Zeit auch von Freddy Perfect belegt wurde.
    Jetzt konnte man droben Ludmillas Schritte hören. Sonntags stand sie immer ganz spät auf und trug dann den ganzen Tag einen ihrer zahlreichen Morgenmäntel, sogar wenn sie auf die Straße ging, um sich eine Zeitung oder einen halben Liter Milch zu kaufen. Es gab mal einen berühmten russischen Schriftsteller namens Gogol, dachte Inez. Was nicht heißen sollte, dass dies nicht Ludmillas echter Name war. Schließlich gab es Leute namens Shakespeare und Browning, und Martin hatte einen Cousin namens Dickens gehabt. Trotzdem schien ein falscher Name wahrscheinlicher zu sein. Ihr Akzent kam und verschwand. Manchmal war er so schwer wie in mitteleuropäischen Filmrollen und ähnelte dann wieder dem Jargon der Besucher im Arbeitsamt von Lisson Grove.
    Inez interessierte sich für Menschen, obwohl sie dadurch nicht zur Menschenkennerin geworden war. Das wusste sie, aber nicht, wie man es ändern könnte. Ein Beispiel: Woher sollte sie wissen, ob Freddy Perfect der war, der er zu sein schien, ein fröhlicher, wenn auch nicht sonderlich komischer Clown, oder ein kleiner Gauner? Und dann Zeinab. Warum gestattete sie niemandem einen Besuch bei ihr zu Hause, geschweige denn, dass sie sich heimfahren ließ? Gut möglich, dass sich ihr Vater als strenger Mensch, wie es manche Moslems waren, nicht mit der Vorstellung von männlicher Begleitung anfreunden wollte, noch dazu wenn die Begleiter keine Moslems waren. Aber warum sollte er etwas dagegen haben, wenn eine Frau sie nach Hause brachte? Es sei denn, er wäre ein paranoider Wüterich. Erst letzte Woche hatte sie, Inez, ihr eine Mitfahrgelegenheit angeboten, als sie eine Bronzebüste von Feldmarschall Montgomery in ein Haus in Highgate liefern musste. Schon auf die Idee hatte Zeinab ziemlich erschrocken reagiert. Menschliche Wesen waren einfach unbegreiflich.
    Beispielsweise die beiden alten, frisch verheirateten Leute aus der Zeitung – was hatte sie dazu getrieben? Zusammen waren sie hundertsechsundvierzig Jahre alt. Weshalb glaubten sie, sie könnten in ihrem Alter noch gegenseitig ihre Gewohnheiten und Schrullen zu ertragen lernen, die sich längst eingeschliffen hatten? Und hatten sie überhaupt die Energie, es auch nur zu versuchen? Nach Martin hatte sich Inez fest entschlossen, nie wieder zu heiraten, nicht einmal für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand sie fragen würde. Trotzdem hätte sie gerne einen Mann um sich gehabt. Einen netten Mann, Ende fünfzig, der mit ihr etwas unternahm, sie manchmal auf einen Drink oder ins Kino einlud. Und ab und zu über Nacht blieb. Warum nicht? Manchmal spazierte sie an warmen Sommerabenden an einem Café mit Tischen auf dem Gehsteig vorbei. Und wenn dann weiches Licht auf die dort sitzenden Paare fiel, fühlte sie sich fast krank vor Sehnsucht nach Martin. Wenn sie ihn schon nicht wiederhaben konnte – dies war nun ein für alle Mal ausgeschlossen –, dann wenigstens einen Mann mit einigen von Martins Eigenschaften, einen, der eine gewisse Zeit lieber mit ihr verbrachte als mit sonst jemandem. Leidenschaftliche Liebe oder sogar jene Hingabe, die ihr Martin entgegengebracht hatte, erwartete sie gar nicht, nur einen netten Mann, der auf sie anziehend wirkte und gern ihre Nähe genoss.
    Sie hatte sich mit ihrem Aussehen alle Mühe gegeben, hatte ihre Figur behalten und auch Glück mit ihren Haaren gehabt. Dunkles Blond wird nur selten grau. Und doch sah jeder Mann, der den Laden betrat, nicht nur sie,
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