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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen
Autoren: Batya Gur
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Seymour Leven steins, der vom New Yorker Institut gekommen und an Krebs gestorben war, als er zweiundfünfzig war. Geburts- und Todesjahr waren neben dem Namen auf dem Bilderrahmen verzeichnet. Wenn ein Analytiker auf einen sich verspätenden Patienten wartete, konnte er von Bild zu Bild gehen, die Einzelheiten studieren und die Gesichtszüge all der Toten des Instituts betrachten.
    Hinuntergefallen war das Bild von Mimi Silbertal, die gestorben war, bevor Gold ans Institut kam. Er hatte sie nicht gekannt und wußte nicht, woran sie gestorben war. Er erinnerte sich, wie er sich einmal während einer Kaffee pause bei einem der älteren Analytiker erkundigt hatte. Der hatte mit der Frage, weshalb er das wissen wolle, geantwor tet. Ein anderer hätte vielleicht Nachforschungen ange stellt, aber Gold, der spürte, daß etwas an der Sache besonders unangenehm war, zog es vor, nichts zu wissen.
    An jenem Sabbat aber, an dem alles zerbrochen war, schnappte Gold den Teil eines Gespräches zwischen Joe Linder und Rosenfeld auf. Joe entfernte die Splitter von dem Bild und sagte zu Rosenfeld, daß sie kein Recht hätten, das Bild verschwinden zu lassen, nur weil sich eine günstige Gelegenheit ergeben hätte. Joe Linder sprach erregt, er schrie fast, und die Worte, an die Gold sich erinnerte, wa ren: »Nur weil jemand Selbstmord begeht, entfernt man nicht sein Bild von der Wand. Du weißt, ich werde es nicht zulassen, daß das Bild in einem Schrank versteckt wird.« Die beiden waren in der Küche, sie bemerkten Gold nicht, der in der Tür stand. Nach dem, was er an diesem Morgen erlebt hatte, konnte ihn die ungeheure Information nicht mehr erschüttern.
    Eilig kehrte Gold die Glasscherben zusammen und legte das Bild in die Küche neben den kleinen Kühlschrank. Da nach ging er zum Lagerraum, um die Stühle zu holen. Es war erst einige Minuten nach neun, ihm blieb noch viel Zeit, obwohl er schätzte, daß an die hundert Stühle nötig waren (man mußte davon ausgehen, daß Menschen aus dem gan zen Land kommen würden, um die Neidorf zu hören). Nachdem er neunzig Stühle im Halbkreis angeordnet hatte, betrachtete er zufrieden sein Werk, beschloß aber, noch Stühle aus den anliegenden Räumen zu holen.
    Jedesmal, wenn er einen der Institutsräume betrat, insbesondere wenn er allein im Gebäude war, war er aufs neue überrascht, wie zweckmäßig die ganze Einrichtung war. Der erste Raum, dessen Tür er öffnete, lag rechts vom Eingang und war wie alle anderen halbdunkel. Die hohen Fenster, das massige Mobiliar erzeugten eine ernste, mysteriöse Atmosphäre. Immer, wenn er die schweren Vorhänge aufzog, erweckte der Raum in ihm die Vorstellung von charakteristischen Formen einer gotischen Kathedrale.
    In jedem Zimmer des Instituts befand sich eine Couch und dahinter der Sessel des Analytikers, ein schwerer Sessel, der bequemer aussah, als er in Wirklichkeit war – jeder, der hier arbeitete, klagte über Rückenschmerzen, und viele besaßen ein kleines Kissen, das sie sich während der Sitzungen heimlich in den Rücken schoben. An den Wänden hingen matte Bilder, außerdem gab es, für die Seminare, einige Stühle.
    Die wöchentlichen Seminare, zu denen sich die Kandida ten aller Jahrgänge trafen, fanden – für gewöhnlich diens tags – in den Abendstunden statt. Einmal in der Woche waren die Zimmer erleuchtet. Die bedrückende Atmo sphäre entspannte sich ein wenig. In allen Zimmern waren die Stühle kreisförmig angeordnet, und in der Küche brei tete sich der Duft von Kaffee und Kuchen aus, die in der Pause begeistert verzehrt wurden.
    Einmal in der Woche also ließ sich – zur Zufriedenheit Hildesheimers, der »das Haus leben und atmen« sehen wollte – Stimmengewirr im Institut vernehmen, und die Straße war zugeparkt. Während der Pause hörte man Gespräche und sogar Lachen: Lehrer und Schüler standen beieinander und erzählten sich die Ereignisse der vergange nen Woche. Immer gab es jemanden, der Kaffee brachte, und wer an der Reihe war, Kuchen zu besorgen, nahm diese Aufgabe sehr ernst.
    Dagegen aber waren die Sabbattage etwas ganz Besonderes. Während an den Dienstagen, den Seminartagen, immer jemand im letzten Augenblick aus seinem Zimmer sprang und die zu früh Kommenden ersuchte, kurz in die Küche zu gehen, damit er seinen Patienten ungesehen zur Tür beglei ten konnte, gab es am Sabbat keine Patienten. Dann fanden auch die Frühaufsteher die Zimmertüren weit geöffnet und wußten, daß sie, wenn sie wollten,
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