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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen
Autoren: Batya Gur
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Erstes Kapitel
     
     
    Es würde, das wußte Schlomo Gold, noch Jahre dauern, bis er sein Auto vor dem Institut parken könnte, ohne eine kalte Hand zu spüren, die nach seinem Herzen griff. Er dachte manchmal sogar, das Institut solle seinen Sitz verlegen, damit ihm diese immer wiederkehrende Panik erspart bliebe. Auch die Möglichkeit, seine Patienten an einem anderen Ort zu behandeln, hatte er schon erwogen. Aber seine Supervisoren waren der Ansicht, daß in seiner Situation innere Prozesse nötig seien, keine äußeren Veränderungen.
    Noch immer klangen die Worte des alten Hildesheimer in ihm nach. Es gehe doch nicht um das Gebäude, hatte der Alte gesagt, nicht das Gebäude versetze ihn in Angst, sondern das, was jenes Ereignis in ihm ausgelöst habe. Seit jenem Tag hörte Gold den Alten jedesmal, wenn er sich dem Haus näherte, er hörte den schwerfälligen deutschen Ak zent, er hörte diesen einen Satz: Mit seinen Gefühlen solle er sich auseinandersetzen, nicht mit Wänden aus Stein.
    Allerdings, so hatte Hildesheimer dann gesagt, sei es eine Tatsache, daß es um seine, Golds, Analytikerin gegangen sei, und das müsse man in Rechnung stellen. Vielleicht sollte er versuchen, sich den »Schwierigkeiten zu stellen und dann an ihnen zu wachsen«, hatte der alte Mann gesagt und Gold mit einem kühlen, durchdringenden Blick angesehen. Schlomo Gold aber, der einmal sehr stolz gewesen war, als man ihm die Schlüssel zum Gebäude ausgehändigt hatte, konnte sein Zimmer im Institut nicht mehr betreten, ohne von Entsetzen gepackt zu werden.
    Wenn er nur daran dachte, was er alles hatte durchmachen müssen, bis man ihm die Schlüssel überhaupt anvertraute. Erst Ende seines zweiten Jahres als Kandidat trat die Unterrichtskommission zusammen und fand ihn geeignet, sich tatsächlich als voller Analytiker zu versuchen und seinen ersten Patienten (selbstverständlich unter Supervision) zu behandeln. Und nun war alles dahin, der Stolz über die Schlüssel und die Freude über das Besitzrecht an dem Haus, die ihn jedesmal überkommen hatte, wenn er die Tür öff nete – nichts würde wieder so werden wie es war, seit jenem Sabbat.
    Einige machten sich lustig über Golds gefühlsbetonte Beziehung zu dem Gebäude, das sich das Institut zum Sitz gewählt hatte. Bis zu jenem Sabbat pflegte Gold jedem Gast, der nach Jerusalem kam, das Haus zu zeigen. Er tat das immer aus freien Stücken und verbarg nie sein Zugehörig keitsgefühl zu dem Ort. Er hatte seine Arme ausgebreitet, als wolle er das Haus umarmen, seine beiden Stockwerke, die runde Veranda, den kleinen Park, in dem zu jeder Jahreszeit Rosen blühten, die Steintreppen, die sich zu beiden Seiten der Veranda wanden und zur Haustür führten. Dann hielt er inne und erwartete einen Ausdruck der Begeiste rung, die Zustimmung, daß dieses herrliche Gebäude wirklich seinem Zweck gerecht wurde.
    Das alles war verschwunden. Seine Naivität, die rückhaltlose Verehrung, das Zugehörigkeitsgefühl zu einer geheimen Verbindung, der Stolz auf den ersten Patienten – alles wich dem Gefühl einer quälend drückenden Bela stung, und die nackte Angst verfolgte ihn seit jenem Sabbat, den er den »schwarzen Sabbat« nannte – jenem Sabbat, für den er sich freiwillig gemeldet hatte, um das Haus vorzubereiten für Eva Neidorf, die gerade nach einem vierwöchigen Aufenthalt bei ihrer Tochter in Chicago zurückgekehrt war und die einen Vortrag halten sollte.
    An jenem Sabbat hatte er sich dem Gebäude genähert, ohne zu ahnen, daß sich sein Leben gänzlich ändern sollte. Ein Sabbat im März, mit Sonne und zwitschernden Vögeln, an dem Gold, da er vor der Begegnung mit Neidorf aufge regt war, sein Haus frühzeitig verließ, um den Saal in Ordnung zu bringen und die Stühle aufzustellen, die zusammengeklappt im Lagerraum standen, und den großen Wasserkessel mit Wasser zu füllen. Alle, das wußte er, wollten am Sabbatmorgen eine Tasse Kaffee. Die Vorlesung sollte um halb zehn beginnen, und einige Minuten vor neun glitt sein Auto die Straße hinab.
    In Jerusalem herrschte die Ruhe eines Sabbatmorgens, und das Viertel, an dem er vorbeifuhr und das auch sonst immer ruhig dalag, war jetzt in völliges Schweigen gehüllt.
    Gold atmete die frische, reine Luft ein und wich aufmerksam der schwarzen Katze aus, die den Fahrdamm mit großartiger Gleichgültigkeit überquerte. Er lächelte über den Aberglauben angeblich vernünftiger Menschen, über die Furcht vor schwarzen Katzen, doch auch
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