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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen
Autoren: Batya Gur
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Motorgeräusch des Taxis, das Hildesheimer brachte. Gold stürzte zur Eingangstür und blickte hinaus.
    Wegen der gewundenen Form der beiden Treppen, die hinauf zum Eingang führten, war es unmöglich, den Ankommenden zu sehen. Der runde Glatzkopf des Alten erschien plötzlich auf einer der obersten Stufen der rechtsseitigen Treppe. Es war kaum zu glauben, daß es erst halb zehn war.
    Bis zu diesem Augenblick hatte Gold den Gedanken an das, was er nun sagen sollte, vollkommen verdrängt. Jetzt, da der runde Kopf vor ihm auftauchte, begriff er, was er dem Alten berichten mußte: Eva Neidorf war tot, Hildesheimers ehemalige Patientin und spätere Schülerin, seine enge Freundin –, vielleicht, wie manche behaupteten –, auch seine große Liebe, die Frau, die ihm in der Leitung der Ausbildungskommission hatte nachfolgen sollen. Als diese Gedanken in Golds Bewußtsein drangen, wich die Erleichterung, die das Telefongespräch gebracht hatte, der Angst, und wieder öffnete sich ein bodenloses Loch in seiner Magengrube. Hildesheimer erreichte Gold, der in der Eingangstür stand, er sah ihn fragend und besorgt an. Gold bemerkte, daß seine Kehle wie ausgetrocknet, seine Zunge wie gelähmt war: Er brachte kein Wort zustande. Schließ lich streckte er seine Hand aus und winkte dem Alten, ihm zu folgen. Hildesheimer begleitete Gold mit festen Schritten bis zu dem kleinen Zimmer. Dort trat Gold zurück und forderte den Alten mit einer Bewegung des Armes auf, einzutreten. Der Alte betrat den Raum.
     
     

Zweites Kapitel
     
     
    Schließlich verließ Ernst Hildesheimer das Zimmer und schloß hinter sich die Tür. Gold saß gespannt auf einem Stuhl im Flur. Der Alte war sehr blaß, er preßte die Lippen aufeinander, in seinen Augen lag etwas, das Gold erst später als Furcht erkannte. Das Gesicht drückte einen Zorn aus, den Gold nicht verstand, dessen Ursache er nicht kannte.
    Mit leiser Stimme fragte Hildesheimer, ob er noch etwas unternommen habe, außer ihn anzurufen. Verwirrt sah Gold ihn an. Nein, die Ambulanz habe er noch nicht be nachrichtigt. Und Hildesheimer, der nicht überrascht schien, murmelte, er könne verstehen, daß Gold es vorziehe, wenn er, Hildesheimer, sich mit der Polizei befassen würde.
    Schon eilte der Alte in die Küche, und Gold, in dessen Magen sich der Knoten fester zusammenzog, folgte ihm.
    Dann saßen sie in der Küche, und während sich die Finger gelenke des Alten langsam blau färbten, während sich seine Hand an die Tischkante klammerte, hörte Gold zum ersten Mal von dem Revolver.
    Später konnte er das Gespräch nicht mehr rekonstru ieren, er erinnerte sich nur an Bruchstücke und daß das Wort »Revolver« einige Male gefallen war, er wußte noch, daß Hildesheimer »vielleicht« gesagt hatte und auch das Wort »Unfall«. Die wenigen Informationen, die sein Bewußtsein erreichten, als er dem Alten in der Küche des Instituts gegenübersaß, beleuchteten das Vorgefallene in einem so bedrohlichen Licht, daß er sich plötzlich erhob und nach Luft schnappte. Außer schwarzen Ringen, die vor seinen Augen kreisten, sah er nichts mehr. Das Blut wich aus seinem Gesicht, er fühlte ein rhythmisches Pochen in seinen Schläfen, und ihm war klar, daß er für die kommende Stunde völlig außer Gefecht gesetzt sein würde. Er wurde überwältigt von der »gräßlichsten Migräne seines Lebens«, wie er es später ausdrückte.
    Gold hatte in seiner Jugend häufig unter Migräne gelitten. Bis zu seiner Lehranalyse mit Eva Neidorf war er nicht in der Lage gewesen, ihre wiederkehrenden Ursachen zu erkennen. Eva Neidorf bot eine Erklärung an: Die Migräne wurde durch nicht ausgelebte Spannungen verursacht. Er konnte ihre weiche Stimme noch hören, wie sie »Spannungen, die Sie nicht ausleben« sagte, er hörte sie so nah, als wäre sie bei ihm, und er erinnerte sich, daß er sie gefragt hatte, ob sie verdrängte Spannungen meine. Sie hatte ihn nach einer kurzen Pause an ihre Vereinbarung erinnert, in der Analyse keine Fachausdrücke zu verwenden. Sie habe etwas anderes gemeint, ein akutes Gefühl der Wut nämlich, das er nicht herauslassen könne. Er wußte, daß er nicht nur entsetzt war, er war auch wütend, vielleicht auf eine ähnli che Weise wie Hildesheimer, als er das Zimmer verlassen hatte. Aber auch über diese kindische Wut dachte er erst später nach. Man hatte ihm den Morgen zerstört, man hatte ihm das Institut zerstört, nichts sonst zählte. Ihm wurde in jenem Augenblick nicht einmal
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