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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen
Autoren: Batya Gur
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Mit einer anmutigen Bewegung strich sie eine Strähne zurück und fragte lächelnd, ob sie auf der Couch liegen solle. Der Analytiker bot ihr einen Stuhl an. Sie saß seitwärts, die Beine übergeschlagen, wie ein Modell aus einem Frauenmagazin; diese Haltung hatte, wegen ihrer dicken Knöchel, etwas Groteskes. Wieder bemerkte Michael ihre zu breiten Handgelenke, ihre kurzen Finger und abgebissenen Nägel.
    Anfangs war sie still. Sie bewegte sich im Sessel und öffnete endlich auch den Mund, um etwas zu sagen, überlegte es sich aber und schwieg. Er konnte den Ausdruck des Analytikers nicht sehen, da nur sein Profil sichtbar war, hörte aber, wie er sich nach ihrem Befinden erkundigte, worauf sie antwortete, es gehe ihr gut. Die Stimme war tief und ruhig. Alle Silben wurden einzeln betont.
    »Sie wollten mich vor einiger Zeit sehen«, sagte der Alte, »wie ich annehme, hatten Sie ein Problem.«
    Sie strich wieder eine Strähne aus der Stirn und schlug von neuem die Beine übereinander. »Ja. Damals wollte ich es. Das war kurz nach dem Tode Dr. Neidorfs. Aber dann wurde ich krank und konnte nicht anrufen. Ich wollte mich melden, sobald ich gesund bin. Aber es ist nicht so dringend. Jetzt wollten Sie mich sehen. Gibt es etwas Neues?«
    »Neues?« wiederholte der Alte.
    »Ich nahm an, es sei etwas geschehen, das vielleicht ...«, sie schwieg und suchte eine neue Haltung einzunehmen.
    Hildesheimer wartete geduldig. Sie wagte nicht, geradeheraus zu fragen, was er von ihr wolle, und nur ihr Körper, die Bewegung ihrer Beine, die sie stets aufs neue überschlug, verrieten ihre Anspannung. »Ich dachte«, sagte sie etwas energischer, »Ihre Einladung stünde im Zusammenhang meiner Fallstudie. Ist darüber diskutiert worden? Gibt es Anmerkungen?«
    »Warum glauben Sie, daß es Anmerkungen gibt? Sind Sie nicht mit Ihrem Aufsatz zufrieden?« fragte der Alte, der sich nicht in seinem Sessel rührte.
    Sie lächelte auf die Art, die Michael bereits kannte, sie verzerrte die Lippen und erklärte: »Das hat doch nichts mit dem zu tun, was ich schreibe und denke. Sie haben Ihre Anforderungen, die nichts mit meiner Meinung zu tun ha ben müssen.«
    Der Alte hob die Hände und ließ sie wieder auf die Sessellehne sinken. »Tatsächlich«, sagte er, »wollte ich mit Ihnen wegen Ihrer Begegnung mit Dr. Neidorf sprechen.«
    »Welche Begegnung?« fragte Dina Silber und ballte die Fäuste.
    »Zunächst über die Begegnung vor ihrer Abreise, bei der es zur Konfrontation kam«, sagte Hildesheimer, als spreche er über etwas Selbstverständliches, das beiden bekannt ist.
    »Konfrontation?« wiederholte Dina Silber, als begriff sie die Bedeutung des Wortes nicht. – Hildesheimer schwieg.
    »Sie hat Ihnen von der Konfrontation erzählt?« fragte sie, und ihre Hände glitten über das dünne Wollkleid.
    Hildesheimer schwieg.
    »Was hat sie Ihnen erzählt?« wiederholte sie. Sie wieder holte die Frage zweimal und veränderte zwischen dem ersten und zweiten Mal ihre Haltung, bewegte sich im Sessel hin und her, ihre Hände zitterten. Ihre Stimme wurde energischer, als sie die Frage von neuem formulierte: »Sie meinen die Begegnung vor der Reise? Sie sagte, es würde unter uns bleiben, sie würde mit niemandem darüber sprechen.«
    Hildesheimer schwieg.
    »Gut, sie hat mich kritisiert, aber das war eine sehr private Angelegenheit.«
    Hildesheimer wandte sich nicht einmal namentlich an sie, wie Michael bemerkte. Ohne seine Haltung zu verändern, sagte er kalt: »Warum nennen Sie das privat? Die Verführung eines Patienten? Finden Sie das privat?«
    Dina Silber erstarrte, und dann veränderte sich ihr Ausdruck, sie kniff die Augen zusammen, ihr Gesicht wurde berechnend. »Professor Hildesheimer«, sagte sie, »ich glaube, Dr. Neidorf hatte ein Problem der Gegenübertragung, Sie war eifersüchtig auf mich, glaube ich.«
    Hildesheimer schwieg.
    »Ich glaube«, fuhr sie fort, als sie merkte, daß er nicht antworten wollte, »daß zwischen uns, zwischen Dr. Nei dorf und mir, eine Konkurrenzsituation bestand, eine Konkurrenz um Ihre Aufmerksamkeit. Ich weiß, daß ich zu diesem Konflikt beigetragen habe, dieses Thema haben wir hier doch mehrere Male besprochen. Ich habe sie provo ziert, ich spielte ihr eine bestimmte Rolle zu. Ich ließ sie verstehen, daß zwischen mir und Ihnen gewisse Beziehungen bestünden. Ich glaube, vor diesem Hintergrund muß man Neidorfs Wunsch, mich zu bestrafen, sehen – wie es sich hier während der Analyse herausgestellt
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