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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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I Abschied
    Eins
    Kweku stirbt barfuß , an einem Sonntag vor Sonnenaufgang, seine Hausschuhe kauern an der Tür zum Schlafzimmer, wie Hunde. Jetzt steht er auf der Schwelle zwischen Glasveranda und Garten und überlegt, ob er zurück soll, um die Pantoffeln zu holen. Er holt sie nicht. Seine zweite Frau, Ama, schläft dort im Schlafzimmer, die Lippen leicht geöffnet, mit gerunzelter Stirn, ihre heißen Wangen auf der Suche nach einer kühlen Stelle auf dem Kopfkissen, Kweku will sie nicht wecken.
    Er hätte es auch gar nicht geschafft, selbst wenn er’s versucht hätte.
    Sie schläft wie eine Cocoyam. Ein Ding ohne Sinnesorgane. Sie schläft wie seine Mutter, abgeschnitten von der Welt. Das Haus könnte von Nigerianern in Flipflops leergeräumt werden – sie könnten in verrosteten russischen Armeepanzern direkt bis vor die Tür rollen, ohne Rücksicht auf Verluste, so wie sie das jetzt auf Victoria Island in Lagos machen (jedenfalls hört er das von seinen Freunden, Rohöl-Könige und Cowboys, die nach Greater Lagos vertrieben wurden, diese seltsame Sorte Afrikaner: furchtlos und reich). Ama würde sanft und selig weiter schnarchen, die musikalische Untermalung eines Traums vom Tanz der Zuckerfee und von Tschaikowski.
    Sie schläft wie ein Kind.
    Er denkt den Gedanken trotzdem, nimmt ihn mit vom Schlafzimmer zur Glasveranda; ein demonstrativer Akt der Vorsicht. Eine Show für ihn selbst. Das macht er schon lange, eigentlich seit er von seinem Dorf weg ist, kleine Freilichtspiele für ein Ein-Mann-Publikum. Oder für zwei Personen. Für ihn und seinen Kameramann, den stummen-unsichtbaren Kameramann, der damals, vor vielen Jahrzehnten, gemeinsam mit ihm abgehauen ist, heimlich, in der Dunkelheit, noch vor Anbruch der Dämmerung, der Ozean ganz in der Nähe. Dieser Kameramann, der ihm seither immer und überallhin folgt. Und schweigend sein Leben filmt. Oder: Das Leben des Mannes, der er sein möchte und der er nicht mehr werden wird.
    Diese Szene nun, eine Schlafzimmerszene: der einfühlsame Ehemann.
    Der keinen Mucks von sich gibt, als er aus dem Bett schlüpft, der geräuschlos die Decke zur Seite schlägt, einen Fuß nach dem anderen auf den Fußboden setzt und sich die größte Mühe gibt, seine nicht-weckbare Ehefrau ja nicht zu wecken. Ja nicht zu schnell aufstehen, weil sich sonst die Matratze bewegt. Ganz leise durchs Zimmer schleichen, lautlos die Tür schließen. Dann genauso lautlos den Flur entlang, durch die Tür zum Innenhof, wo sie ihn garantiert nicht mehr hören kann. Trotzdem immer noch auf Zehenspitzen. Den kurzen, geheizten Verbindungsgang vom Schlaftrakt zum Wohntrakt, wo er einen Moment stehen bleibt, um sein Haus zu bewundern.
     
    Es ist eine geniale Komposition, diese einstöckige Anlage, nicht besonders originell, sondern funktional und vor allem elegant durchgeplant. Ein schlichter Hof in der Mitte, mit einer Tür auf jeder Seite, zum Wohntrakt, zum Esstrakt, zum großen Schlafzimmer, zu den Gästezimmern. Er hat den Entwurf in einer Krankenhauscafeteria auf eine Serviette gekritzelt, im dritten Jahr seiner Facharztausbildung, mit einunddreißig. Mit achtundvierzig kaufte er das Grundstück von einem Patienten aus Neapel, einem reichen Immobilienmakler mit Verbindungen zur Mafia und mit Diabetes Typ II , der nach Accra gezogen war, weil die Stadt ihn an Neapel in den fünfziger Jahren erinnert, wie er behauptet (der Reichtum so nah beim Elend, die frische Seeluft so nah beim Abwasser, am Strand stinkreiche Leute neben stinkarmen.) Mit neunundvierzig fand er einen Zimmermann, der bereit war, den Auftrag anzunehmen – der einzige Ghanaer, der sich nicht weigerte, ein Haus mit einem Loch in der Mitte zu bauen. Dieser Zimmermann war siebzig, mit grünem Star und Sixpack. Er arbeitete einwandfrei und immer allein, und nach zwei Jahren war er fertig.
    Mit einundfünfzig brachte Kweku seine Sachen her, fand es aber zu ruhig.
    Mit dreiundfünfzig heiratete er zum zweiten Mal.
    Elegant geplant.
    Nun bleibt er an einer Seite des Quadrats stehen, zwischen den Türen. Hier ist die Struktur deutlich zu erkennen, er kann den Entwurf
sehen
, und er betrachtet ihn, so wie der Maler ein Gemälde betrachtet oder die Mutter das Neugeborene. Voller Verwirrung und Ehrfurcht, dass dieses Ding, das irgendwo im Kopf oder im Körper konzipiert wurde, es nach draußen in die Welt geschafft hat, und jetzt ein Eigenleben hat. Etwas perplex. Wie ist es hierhergekommen, von
in
ihm zu
vor
ihm? (Klar, er weiß,
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