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Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Titel: Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Autoren: Margaret Weis
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kennen, Melisande. Auch du wirst wissen, wann deine Stunde naht.«
    Die Meisterin tätschelte Melisandes Hand. »Aber heute ist es noch nicht so weit. Jetzt müssen wir uns für unseren Feind rüsten. Tu deine Pflicht, Tochter, und ich tue die meine. Und denk daran: Nicht nur du kannst den Drachen sehen, sondern er kann dich mit seiner Magie ebenfalls wahrnehmen. Lass dich nicht von ihm einschüchtern.«
    Mit einer Geste wurde Melisande entlassen. Sie verneigte sich beim Hinausgehen, dann schloss die Meisterin die Tür hinter ihr.
    In der duftenden Finsternis hielt Melisande kurz inne. Während sie die Augen schloss und die Meisterin lautlos um Mut anflehte, kam ihr der Gedanke, dass sie bald niemanden mehr haben würde, zu dem sie beten konnte. Dann wäre sie die Meisterin, und alle Gebete wären an sie gerichtet. Dieser Gedanke erschreckte sie. Sie fragte sich, warum sie nie zuvor daran gedacht hatte.
    »Wahrscheinlich weil ich dachte, die Meisterin würde ewig leben.«
    Ihr Gebet brach mitten im Satz ab. Wenn sie bald selbst zur Göttin werden würde, musste sie sich schleunigst daran gewöhnen, eigenständig zu handeln.
    Melisande bediente die Zugglocke, damit die Wachen die Bronzetüren öffneten. Das helle Sonnenlicht brachte sie zum Blinzeln. Mit einem langen Atemzug sog sie die frische Luft in sich ein. Die Kämpferinnen hatten die Befestigungsanlagen auf den vier Mauern besetzt. Andere trugen die letzten Kinder in die sicheren Gewölbe. Melisande sah, wie die Kleinen sich fest an die Soldatinnen klammerten und die schlaftrunkenen Augen weit aufrissen, weil all das so fremd und neu war, und sie lächelte ihnen ermutigend zu. Die »Kühe« folgten dichtauf, beruhigten die verängstigten Kinder und forderten sie auf, zur Meisterin zu beten.
    Die Mitglieder der Schwesternschaft warteten bereits vor dem Heiligtum auf Einlass. Auf Melisandes Nicken hin traten sie nacheinander aus der Sonne in die Dunkelheit. Sie trugen ihre weißen Roben, hatten Schleier übergeworfen und hielten die Augen gesenkt und die Hände zum Gebet gefaltet.
    Damit waren sie so beschäftigt, dass sie kein Wort zu Melisande sagten. Die Hohepriesterin sprach sie ebenso wenig an, sondern setzte eilig ihren Weg zum Tempel des Auges fort. Als sie die Weidenpforte durchtrat, sah sie Bellona über die Zinnen schreiten und die Kriegerinnen inspizieren, damit auch wirklich jede bereit war. Bellona bemerkte Melisande am Fuß der Mauer. Beide tauschten ein Lächeln und einen liebevollen Blick, ehe jede wieder ihren Pflichten nachging.
    Während Melisande im Licht der Sonne den Pfad entlangging, sah sie erneut das kleine Mädchen vor sich, das in der Finsternis die Magie heraufbeschworen hatte. Bei diesem Bild verflogen ihre Selbstzweifel. Sie segnete jenes ferne Kind und lief zuversichtlich weiter, um sich dem Drachen zu stellen.

2
    Wieder kniete Melisande vor der Schale, die das Wachsame Auge formte. Sie hielt einen Moment inne, ehe sie in das Wasser blickte, denn sie wollte sich beruhigen und konzentrieren. Das fiel ihr nicht leicht. Ihre Gedanken wollten einfach nicht an diesem stillen, heiligen Ort bleiben, sondern eilten zurück auf den Berg, hinauf zu Bellona, zur Meisterin, zu den Schwestern. Wie es ihnen wohl ging? Hatte sie auch wirklich nichts versäumt, was ihre Aufgabe gewesen wäre? Waren die kleinen Mädchen wirklich in Sicherheit?
    »Schluss damit!«, befahl Melisande sich selbst. »Die Meisterin ist dort. Bellona befehligt ihre Soldatinnen. Sie haben alles im Griff. Meine Aufgabe ist es, den Drachen zu beobachten.«
    Sie legte beide Hände auf den Rand der gewaltigen Steinschale, beugte sich darüber und schaute in das unbewegte Wasser.
    Zwei Augen starrten zurück. Lebendige Augen.
    Der Kopf des Drachen erfüllte die Schale. Seine roten Augen mit den schlitzförmigen, mordlüsternen Pupillen blickten sie an, ohne zu zwinkern. Es war ein erschreckender Anblick, und Melisande zuckte zurück, damit diese furchtbaren Augen sie nicht wahrnahmen.
    Und denk daran: Nicht nur du kannst den Drachen sehen, sondern er kann dich mit seiner Magie ebenfalls wahrnehmen. Lass dich nicht von ihm einschüchtern.
    Der abschließende Befehl der Meisterin kam Melisande wieder in den Sinn. Sie musste dem Drachen trotzen. Er musste sehen, dass sie ihn nicht fürchtete. Dennoch zögerte sie. Wieder sah sie die verschlagene Intelligenz in den Drachenaugen vor sich, die sie aus dem Wasser angeblickt hatten. Wenn er ihre mentalen Barrieren überwand, konnte er
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