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Revierkönige (German Edition)

Revierkönige (German Edition)

Titel: Revierkönige (German Edition)
Autoren: Daniela Gerlach
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I
    Küchendunst
    Liebe - ein seltenes Tier
    Im Hades, Heil Hitler
    Nachts, Vergangenheit
     
     
    Es war Mitte August, draußen regnete es. Mittlerweile interessierte das schon gar keinen mehr, es passierte sowieso immer nur das Gleiche. Man freute sich auf ein paar warme Tage, es sah auch fast so aus, als könnte etwas draus werden, aber dann zog sich diese grau-diesige Masse wie eine Plane über die Stadt. Irgendwann fing es an zu tröpfeln und schließlich plästerte es so richtig los. Der Regen hatte zwar jetzt weniger Rußanteile als früher, war aber noch saurer geworden. Also: Was sollte man sich überhaupt noch aufregen?
     
    Sie saßen in Spargels Küche, diesem warmen Mittelpunkt der Erde. Diese Küche hatte nichts mit der eines westfälischen Durchschnittsbürgers zu tun, wo es Spüle, Herd und einen Tisch mit einer grellen Lampe drüber gab, damit man die Mettwurst besser aus dem Grünkohl pulen konnte. Eher hatte sie etwas von Räuberhöhle, ähnlich solchen Unterschlüpfen wie Kinder sie früher im Wald oder in einem Teil des Kellers besaßen. Der geheime Ort, von dem nur Eingeweihte wussten, ein Ort für konspirative Treffen. Eine Behaglichkeit herrschte hier, die nur zustande kommen konnte, wenn alle einträchtig zusammensaßen und jeder Einzelne diese Eintracht spürte, ein Teil von ihr war. Die Besucher von Spargels Küche waren nicht etwa aus Gründen einer gemeinsamen Philosophie oder gar aus spirituellen Motiven so friedlich. Eher müsste man sagen, sie schmolzen im süß-harzigen Dunst zu einer Einheit zusammen. Man war sich einig, weil Uneinigkeit einfach zu stressig war. Und alles, was einen so anödete und nervte, die ganze Beschissenheit des Lebens, die konnte man draußen lassen, auf dem Abstreicher vor Spargels Wohnung. Man rauchte, hörte Musik, redete über Gott und die Welt. Die Welt, das waren vor allem die Leute, die man kannte. Und Gott, na ja, den gab es ja eigentlich nicht.
     
    Auf dem Sofa vom Sperrmüll, das mit einem bei der Wäsche grau-grün verfärbten Laken bezogen war und das sich nun wie ein aktuelles postmodern-kühles Designerstück machte, saßen heute Motte, Bert, der Freese und Vera. Auf einem bequemen, breiten Sessel saß der Chef: Olaf Keune, seit seinem 17. Lebensjahr Spargel genannt. Er beobachtete gerade nachdenklich das Pulsieren der Bässe in seiner Stereoanlage. Mancher hätte vielleicht gesagt, er glotzte dösig durch die Gegend, aber genau wusste man das nicht. So einfach durfte man sich das nicht machen. Olaf überlegte wirklich ernsthaft, welche von den 250 Kassetten im Glasregal er als nächstes auswählen würde. Er musste sich jetzt entscheiden, denn in einigen Minuten würde er vollkommen breit sein, und bis er da wieder runterkam, das konnte dauern. In diesem Zustand die falsche Musik zu hören, käme jedenfalls einer mittleren Katastrophe gleich. Er dachte auch daran, dass er aus dem Stapel Platten, den Hippie-Horst ihm in einem Anfall von Großzügigkeit vor einer Woche geliehen hatte, endlich eine Auswahl treffen und aufnehmen musste. Heute würde er das nicht mehr schaffen. Heute war sowieso alles anders, denn die Frau saß neben ihm, das verwirrte ihn. Außerdem war es bereits die dritte Dose, die innerhalb einer Stunde rumging, und er hatte sie anrauchen müssen, weil das wie fast immer alle dankend ablehnten. Dran ziehen wollten sie an dem Ding, aber anrauchen? – nee, nee, lassma Alter, mach du ma.
    Spargels Rauchdose hatte seit ihrer Erfindung vor etwa einem Jahr einen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad erreicht, den man mit dem von Außenminister Genscher oder Doc Martens-Schuhen vergleichen konnte – zumindest in gewissen Kreisen. Die Haschischkultur hat natürlich unzählige Variationen des Rauchens hervorgebracht, doch Olaf Keune war da mit Hilfe einer alten Bonbondose etwas so Wirkungsvolles wie Praktisches gelungen. Er hatte die leere, flache Blechschachtel mit Klebeband isoliert, zwei kleine Löcher in die Seiten und ein drittes Loch in den Deckel gebohrt. In dieses wurde ein Stück Sieb gedrückt, in das man die warm gemachten Brösel pur oder mit etwas Tabak vermischt gab. Den Rauch, der sich beim Anzünden der Mischung im Inneren der Dose bildete, sog man aus einem der Seitenlöcher, während die Luftzufuhr über das andere Loch mit dem Zeigefinger reguliert wurde. Am Anfang bildete sich so viel zu inhalierender Rauch, dass man meinte, es zerrisse einem die Lungen. Man hustete bis einem Tränen in die Augen traten, was natürlich
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