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Papa ante Palma

Papa ante Palma

Titel: Papa ante Palma
Autoren: Stefan Keller
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Eins
    »Mallorca …« Der Mann auf dem Sitz neben
mir sieht mich an. »Mallorca ist wie eine billige Frau, auf der schon Tausende
vor dir drauf waren. Wenn du aber damit klarkommst, dass du nicht der Erste bei
ihr bist, ist sie wunderschön«, sagt er mit der gepressten Stimme eines
Kettenrauchers.
    Damit dreht er sich zum Fenster zurück und
verfällt in die gleiche Starre wie zuvor. Mit dem Cowboyhut und dem
faltigen Gesicht erinnert er mich an einen Westernhelden aus einem dieser alten
Schwarzweißfilme.
    Vielleicht war es unhöflich von mir, ihn
anzusprechen, während er auf die sich endlos dahinziehenden Wolkenteppiche
hinausgeschaut und auf irgendeinem Halm herumgekaut hat, aber lange habe ich es
nicht ausgehalten.
    »Guten Tag, ich ziehe nach Mallorca, zu meiner
Familie«, habe ich überschwänglich zu ihm gesagt, kaum dass die Maschine die
Reiseflughöhe erreicht hatte.
    Das Verhalten meines Sitznachbarn ist ansteckend.
Auch ich verharre reglos, blicke allerdings nicht auf die vorbeiziehenden
Wolken, sondern auf den ausklappbaren Tisch in der Rückenlehne des Sitzes vor
mir. Die graue Fläche wird nach und nach zum Bildschirm, auf dem einzelne Szenen
aus den letzten Jahren aufflimmern. Bis zur Landung in Palma sind es noch gut
zwei Stunden, genügend Zeit, um so manches Revue passieren zu lassen.
    Gerade mal sechs Wochen ist es nun her, dass
meine Frau dieses Jobangebot im Internet gefunden hat.
    »Wie wäre es mit Mallorca?«, fragte Lucia mich,
als wir abends noch in unserer Kölner Wohnung zusammensaßen, nachdem die Kinder
im Bett waren.
    »Mallorca? Sehr witzig.«
    »Ja, hier suchen sie jemanden in einer Agentur.
Das wäre doch was.« Kerzengerade und aufgeregt saß sie vor dem Rechner. »Ich
glaube, da bewerbe ich mich mal.«
    »Was? Wieso? Ich verstehe nicht! Was sollen wir
denn da?« Kopfschüttelnd blätterte ich die Zeitung um.
    »Mensch, Steve! Sonne, Strand und Meer, außerdem
wollten wir doch immer schon mal in Spanien leben«, Lucias Stimme überschlug
sich fast, als sie hinzufügte: »Der Job klingt richtig gut.«
    Wie gebannt starrte meine Frau den Bildschirm an.
Über die wenigen Meter Distanz konnte ich förmlich spüren, wie ihr spanisches
Blut zu sieden begann. »Projektmanagerin in einer Marketingagentur, klingt das
etwa nicht gut? Die Kunden stammen übrigens hauptsächlich aus der
Nahrungsmittelindustrie.«
    »Doch, doch, schon«, nuschelte ich.
    Dabei hallte in mir unterdessen etwas ganz
anderes nach: Mallorca. Sofort zogen zahllose Bilder an meinem inneren Auge
vorbei. Ballermann, Eimersaufen, Pimmelparaden und bierbäuchige Kohorten, die
grölend die Inselschönheiten belästigten, dazu Freizeitparks mit Plastiksauriern
und leblose, dicke Engländer in Gleitschirmen, die sich von Booten den
Küstenstreifen entlangziehen lassen. Als Nächstes schwebten die Köpfe von Jürgen
Drews, Dieter Bohlen und Boris Becker vorbei. Männer, die vermutlich die halbe
Insel gekauft, sie in ihrer fabulösen Stumpfheit unterjocht und dafür gesorgt
hatten, dass man sich ja nicht als Deutscher zu erkennen geben durfte, sofern
man nicht in der nächstbesten Paella-Pfanne landen wollte.
    »Lass uns lieber nach Ibiza oder Formentera
gehen«, schlug ich halbherzig vor. »Dort leben die wirklich coolen Leute.
Überall weiße Leinengewänder, Hippie-Märkte, dazu Lagerfeuer-Flamenco-Chill-out,
Didgeridoos, Nacktbaden. Das wär’s.«
    »Klischeehafter geht’s wohl nicht.«
    »Schon, aber die Klischees müssen ja irgendwo
herkommen.«
    »Ach, wahrscheinlich wird’s eh nichts«,
beschwichtigte meine Frau mich, ohne mir richtig zuzuhören.
    »Na dann«, grunzte ich und schaute über die
Zeitung hinweg in die tiefhängenden lilaschwarzen Schichtwolken, die über dem
Dachfenster grummelten.
    Okay, es stimmt. Wir haben beide immer schon
einen gewissen Sog in die Ferne verspürt. So, wie es an einem zieht, wenn man
auf einem Hochhausdach steht und hinunter in die Straßenschlucht blickt. Ein
schönes Ziehen ist das. Es entsteht im Magen, wandert langsam den Körper hinauf
und kitzelt dabei das Zwerchfell.
    Am Anfang unserer Beziehung hatte ich Lucia
tatsächlich ein paarmal ins Ohr gehaucht, dass ich irgendwann mit ihr nach
Spanien ziehen und sie »nach Hause« bringen würde, wie ich es damals leicht
pathetisch formuliert hatte. Aber das war Jahre her und hatte sich
ausschließlich auf die Metropolen Madrid und Barcelona bezogen. In Härtefallen
vielleicht noch auf Valencia und San Sebastian.
    Wieso
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