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Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen

Titel: Das verbotene Land 1 - Die Herrscherin der Drachen
Autoren: Margaret Weis
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Kriegerinnen oblag die Aufgabe, die Lampen herunterzulassen und das Öl nachzufüllen. Weihrauchduft verbreitete eine dichte, warme, tröstliche Atmosphäre in der Düsternis.
    In den Gemächern der Meisterin war Rennen ebenso wenig gestattet wie Rufen oder Unterhaltungen. Man betrat sie mit gesenktem Kopf und reinen Gedanken und bewegte sich mit dem gebührenden Respekt. Melisande musste sich dazu zwingen, ihre Schritte zu verlangsamen. Sie wünschte, sie hätte ihre Schuhe nicht vergessen. Die Meisterin würde sie für disziplinlos halten. Nachdem sie sich durch Gebete und den Gedanken, dass der Drache noch in weiter Ferne war, beruhigt hatte, ging sie in angemessenem Tempo durch die düsteren Gänge zum Schlafgemach der Meisterin.
    Zu ihrer Überraschung war deren Tür geschlossen.
    Das Öffnen der Bronzetüren löste einen Draht aus, der in den Gemächern der Meisterin eine Glocke anschlagen ließ, damit diese von dem Besucher erfuhr. Normalerweise öffnete sie dann die Tür, um den Gast einzulassen. Da die Tür nicht offen stand, nahm Melisande an, dass die alte Meisterin noch schlief. Sicher hatte sie den Klang der Glocke überhört. Melisande wollte gerade den drachenförmigen Bronzeklopfer betätigen, doch in diesem Moment schwang die Tür auf.
    Vor ihr stand die Meisterin. Die Goldfäden, mit denen ihre Roben bestickt waren, glänzten im Licht der auf dem prächtigen, geschnitzten Holztisch stehenden Öllampe. Siebzig Lebensjahre hatten ihren Körper gezeichnet, nicht aber ihren wachen Geist.
    Ihre Haare waren schneeweiß, das weise Gesicht voller Runzeln, der schmale Körper gebeugt. Doch ihre Stimme klang fest, und in ihren dunklen Augen flackerte die Kampfbereitschaft.
    »Du hast einen Drachen gesehen«, stellte sie fest.
    »Das habe ich, Meisterin«, bestätigte Melisande. Sie schämte sich, weil sie das Zittern in ihrer Stimme nicht unterdrücken konnte.
    An diesem heiligen Ort wurde ihr plötzlich das ganze Ausmaß ihrer Lage klar: die Gefahr für ihr Volk und die Verantwortung, die auf ihr lastete. Das Gewicht dieser Last ließ sie taumeln. Einen kurzen Augenblick wünschte sie inständig, wieder acht Jahre alt zu sein und von den starken Armen einer Kriegerin in Sicherheit gebracht zu werden.
    »Wie viele?«
    »Nur einer, Meisterin.«
    »Und er kommt hierher? Bist du sicher?«
    »Im Auge erschien das Ungeheuer mir noch sehr klein, Meisterin. Aber er wurde größer. Er kommt näher. Und er hatte mich im Blick.«
    Die Meisterin lächelte. Sie lächelte selten und immer in sich hinein, so dass Melisande nie genau wusste, ob die Meisterin über etwas erfreut war, was Melisande getan hatte, oder ob die Freude einem Geheimnis entsprang, das nur sie kannte.
    »Ich wusste, dass du zu den Gesegneten gehören würdest«, sagte die Meisterin. Sie trat auf Melisande zu und ergriff sie am Handgelenk. »Das wusste ich schon, als du noch klein warst. Ich konnte die Magie in dir tanzen sehen. Beschreibe mir den Drachen.«
    »Ein junges Männchen, denn die Farben strahlen geradezu. Goldgrün auf Rücken, Schultern und Mähne, eher bläulich am Bauch, an den Beinen und am Schwanz. Soll ich die Schwestern rufen?«
    »Ja, ruf sie zusammen.« Die sehnige Hand der Meisterin bestand nur aus Haut und Knochen. Sie schloss sich fest um Melisandes Handgelenk. »Schick sie ins Heiligtum. Und alarmiere die Kriegerinnen.«
    »Das habe ich bereits getan, Meisterin.«
    »Oh, ja, natürlich.« Wieder lächelte die Meisterin. »Dann hast du offenbar bereits alles Nötige veranlasst, Melisande. Ich ziehe mich ins Heiligtum zurück, um mich vorzubereiten. Du gehst zum Auge und hältst Ausschau. Wenn der Drachenkopf die Schale erfüllt und es dir so vorkommt, als könntest du dich nicht mehr vor ihm verbergen, ist er fast da. Dann kommst du ins Heiligtum, denn dort werden wir dich brauchen.«
    Die Meisterin ließ nicht los, sondern umklammerte Melisande weiterhin. Auch ihre Augen hatten Melisande fest im Griff.
    »Das wird deine Probe, Melisande. Ich glaube an dich. Glaube du nur an dich selbst.«
    »Ich versuche es, Meisterin. Ich muss noch so viel lernen.«
    Die Hand der Meisterin entspannte sich. Jetzt war ihre Berührung sanft und liebevoll. »Deine Zeit ist bald gekommen, Melisande.«
    »Nein, Meisterin. Sag so etwas nicht«, widersprach Melisande mit echter Bestürzung. »Du wirst noch viele Jahre bei uns sein.«
    Das Lächeln der Meisterin verdüsterte sich. Sie schüttelte den Kopf. »Es gehört zu unseren Gaben, unsere Zeit zu
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