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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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    |11| EINS
    Ich war gut zwei Jahre stellvertretender Chefredakteur, als Professor Michelsen mich zum ersten Mal in seinem rundum mit Mahagoni vertäfelten Büro empfing. Ein Butler in schwarzer Weste stellte ungefragt zwei Gläser frisch gepressten Orangensaft vor uns auf den Tisch. Jeder bei
Michelsen Media
wusste, dass dies das Einzige war, was der Professor im Büro zu sich nahm, und jeder wusste auch warum.
WellFit
, das von Michelsen an seinem siebzigsten Geburtstag gegründete Gesundheitsmagazin, hatte herausgefunden, dass Orangensaft einen Stoff enthält, der Lust auf Sex macht. »Warum O-Saft so geil ist«, stand über dem zwei Seiten langen Text. Der Alte hatte ihn offenbar gelesen. Er trank sein Glas in einem Zug aus, dann sah er mich zum ersten Mal an: »Nun, Herr Walder«, sagte er, »Sie sind lange genug die Nummer zwei gewesen, und es ist Zeit, dass Sie endlich ein eigenes Kommando bekommen. Ein Schiff, das Sie allein steuern. Waren Sie …« Sein Handy klingelte. »Ent schuldigung .«
    Ich nickte ihm verständnisvoll zu. Ich hatte so lange auf diesen Moment gewartet, da kam es auf ein paar Minuten nicht mehr an. Gleich würde er sie sagen, die Sätze, die mein Leben verändern würden. »Ich habe Sie schon lange im Blick«, wäre einer davon, »die
Metro-News
brauchen endlich neuen Schwung«, ein anderer, und natürlich mussten die Worte »Chefredakteur« und »Dienstwagen« fallen. Ich trank einen Schluck Orangensaft und hoffte, nicht direkt eine Erektion zu bekommen. Der Butler schenkte sofort nach.
    Michelsen telefonierte leise. Offiziell hatte er sich vor fünf Jahren aus dem operativen Geschäft an die Spitze des Aufsichtsrats von
Michelsen Media
zurückgezogen. Vorstandsvorsitzender war |12| seitdem sein Stiefbruder Carl Michelsen-Albrecht. Doch alle wichtigen personellen Entscheidungen traf nach wie vor der Professor, hier oben, im zwölften Stock des MM-Towers. Er legte auf und wandte sich wieder mir zu. Ich hatte schweißnasse Hände.
    »Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Ich wollte von Ihnen wissen, ob Sie schon einmal in Wützen waren.«
    Er wollte was?
    »Und?«, fragte Michelsen. »Waren Sie schon einmal in Wützen?«
    »Nein«, sagte ich.
    Eine Lüge. Zwei Wochen zuvor war ich auf einer Bahnfahrt nach Amsterdam gezwungenermaßen dort umgestiegen. Fünf Minuten Wartezeit und eine bange Frage: Wie furchtbar muss es sein, hier zu leben?
    »Dann sollten Sie das schnell nachholen. Sie werden nämlich Chefredakteur der Wützener Zeitung.«
    »Ich wusste gar nicht, dass wir in Wützen eine Zeitung haben.«
    Ich wusste aber, dass ich dort nicht arbeiten wollte.
    »Sie sind der richtige Mann dafür, glauben Sie mir. Brauchen ja nicht gleich dort hinzuziehen.«
    Es musste noch schlimmer sein, als ich dachte. Das Gespräch ging in eine völlig falsche Richtung.
    »Und wie lange?«
    »Wie, wie lange?« Michelsen guckte mich an, als hätte ich gerade um eine halbe Million Euro Gehaltserhöhung gebeten.
    »Wann komme ich zurück, meine ich?«
    Zurück in die Zentrale von MM, zurück zu meinen geliebten
Metro-News
, der großen, wichtigen Tageszeitung in München, die mitten in der Nacht ein Interview mit Edmund Stoiber bekommen würde und die Uli Hoeneß auch privat abonniert hatte. Hier wollte ich Chefredakteur werden, nach all den Jahren als Stellvertreter, Ressortleiter und stellvertretender Ressortleiter, hier hatte ich gerade erst eine Eigentumswohnung gekauft und |13| Marie am Tag der Schlüsselübergabe einen Heiratsantrag gemacht. Aber es schien nicht der richtige Zeitpunkt zu sein, darüber mit dem Professor zu sprechen. Er reagierte nicht einmal auf meine Frage.
    »Sie machen das schon. Das ist Ihre große Chance.«
    Die Tür ging auf. Seine Sekretärin. Ich wusste, was jetzt kommen würde. »Professor Michelsen, Sie denken an ihren nächsten Termin? Herr Sieverling wartet bereits.«
    Ich stand auf. »Kann ich es mir bis nächste Woche überlegen?«
    »Natürlich«, sagte Michelsen und trank sein zweites Glas Orangensaft aus. »Aber ich sag es Ihnen ganz ehrlich: Ich weiß nicht, ob ich Ihnen so ein Angebot in den nächsten zehn Jahren noch einmal machen kann. Rufen Sie mich Montag an!«
    Er streckte mir die rechte Hand entgegen. Ich überlegte kurz, sie zu ignorieren, wie es die Bayern-Stars manchmal taten, wenn Jürgen Klinsmann sie in der 74. Minute auswechselte, oder wie der Bayern-Coach selbst gegen die Papiertonne neben dem Schreibtisch des Professors zu treten. Dann ging
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