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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin
Autoren: Aufbau
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nicht auf Verlierer.«
    Danach brach die Verbindung ab, was mir ganz recht war, weil ich dem thailändischen Taxifahrer sagen musste, dass er mich so schnell wie möglich zum Hauptbahnhof bringen sollte.
    »Ich muss in zehn Minuten da sein.«
    »Das schaffen is schwierig«, sagte er.
    »Versuchen Sie es. Stellen Sie sich vor, wir wären in Bangkok.« Dort brauchten die Taxifahrer für ähnliche Entfernungen nicht einmal sechs Minuten, zumindest, wenn die Straßen einigermaßen frei waren.
    »Anschnallen bitte«, sagte er. »Driving is a dangerous game.«
    Elf Minuten später waren wir da. Ich warf dem Fahrer einen Zwanzigeuroschein nach vorn, er fragte allen Ernstes, ob ich eine Quittung bräuchte. Auf dem Weg in den Bahnhof stolperte |27| ich über eine rote Leine, an der ein Rauhaardackel hing, und verlor dadurch wertvolle Sekunden. Der Zug nach Genf fuhr auf Gleis sieben in genau einer Minute ab. Ich drückte im Laufen auf die Wahlwiederholungstaste des Handys, genau so, wie ich es während der Fahrt bestimmt zehnmal gemacht hatte. Doch Maries Mutter ging nicht ran. Noch zwanzig Sekunden, noch 200 Meter. »Zurückbleiben, bitte.« Die Deutsche Bahn war pünktlich, das konnte nicht sein. Die Türen schlossen sich, ein dicker Schaffner rief mir zu: »Zu spät, junger Mann, wir fahren los.« Ich lief weiter, vorbei an der zweiten Klasse, wo Marie und ihre Mutter nicht einmal sitzen würden, wenn es dafür die komplette »Sex and the city«-Edition auf DVD als Prämie gäbe, bis zu den zwei Wagen der ersten Klasse. Da waren sie, tatsächlich, hinter dem zweiten Fenster. Ich klopfte an die Scheibe, winkte, zeigte auf die »Post vom Aufsichtsrat«, die ich die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, und schrie, so laut ich konnte: »Loyalität, Marie, Loyalität.« Der Zug wurde immer schneller, ich lief nebenher.
    »Marie, ich kann dir alles erklären«, ich atmete schwer, hatte aber immerhin das Gefühl, dass sie mich beobachtete.
    »Wützen ist nur eine Probe. Der Professor …«, ich konnte sehen, wie sie sich leicht nach vorn beugte, als müsste sie etwas aufschreiben.
    »Der Professor will mich nur testen und …« Der ICE wurde immer schneller, der Bahnsteig immer weniger. Noch 20 Meter, noch 15, noch zehn.
    »Marie«, brüllte ich. Sie hielt ein Stück Papier ans Fenster, auf dem ich nur »Handy« und »an meine Schwester« lesen konnte. Dann knallte ich mit der rechten Schulter gegen einen Pfeiler, der offensichtlich das Ende des Bahnsteigs markierte. Das Letzte, was ich von Marie sah, war ihr Mobiltelefon, das auf die Gleise fiel und vom Waggon mit der Nummer 21 zermalmt wurde.
    In den Tagen danach habe ich alles probiert, um sie irgendwie doch noch zu erreichen. Ich habe bei ihrer Schwester in |28| Genf angerufen, die mir nur sagte, Marie wolle nicht mit mir sprechen und müsste sich voll auf ihre Diplomarbeit konzentrieren. Ich habe ihr fünfundzwanzig E-Mails und drei normale Briefe geschrieben, habe die »Post vom Aufsichtsrat« mitgeschickt und versucht, ihr meine Theorie von der plötzlichen Versetzung zu erklären: »Wenn ich das jetzt klaglos mache, Marie, dann werde ich in ein oder zwei Jahren Chefredakteur der Metro-News. Ganz bestimmt. Und wir müssen ja auch nicht nach Wützen ziehen, wenn du nicht willst, und können die Wohnung in München behalten und am Wochenende pendeln. Melde dich doch bitte, ich vermisse dich so. IL Dein Johann.« (IL steht für In Liebe, aber das nur am Rande.) Sie reagierte nicht, selbst dann nicht, als ich ihr eine Videobotschaft schickte, genau so, wie sie es in ihrer Lieblingsfernsehsendung »Frauen tausch « immer machten.
    Dafür rief Frau Volkmann an, die Frau, die N und W verwechselt hatte. »Herr Walder, Professor Michelsen möchte Sie noch einmal sprechen.«
    Es war im Unternehmen legendär, dass ein Telefonat mit dem Verleger niemals länger als eine Minute dauerte. Ein langjähriger Chefredakteur hatte es einmal auf neunundfünfzig Sekunden gebracht, aber nur, weil der Professor einen Hustenanfall bekommen hatte.
    »Michelsen hier, Herr Walder. Haben Sie über mein Angebot nachgedacht?«
    Ich wusste, was ich zu sagen hatte.
    »Ich freue mich sehr über Ihr Vertrauen, Herr Professor Michelsen. Ich möchte die Herausforderung gern annehmen und meine Chance wützen, ich meine natürlich nützen.«
    Er reagierte auf unser geheimes Codewort leider nicht.
    »Gut«, sagte Michelsen. »Den Rest regelt Herr Volkerts.«
    Das war sein Bürochef.
    »Gut«, sagte ich einfach
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